Von Hannes Germann *
Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen: Die wirtschaftliche Erholung lässt auf sich warten. Die konjunkturelle Abflachung, verbunden mit dem Einbruch an den Finanzmärkten, hat uns vor Augen geführt, wie sehr man auf Wachstum angewiesen ist. Selbst die einstigen Verfechter eines Nullwachstums haben eingesehen, dass sich ein Leistungsausbau in einem Sozialstaat nur mit einem kontinuierlichen Wachstum realisieren lässt.
Natürlich sind die Systeme nach wie vor funktionsfähig. Wenn aber unser nördlicher Nachbar Deutschland von einem Jahr auf das andere eine Verdoppelung der Staatsverschuldung in Kauf nehmen muss, dann ist etwas faul im Staat. Dass es hier ohne grössere und schmerzliche Einschnitte nicht geht, ist klar. Uns muss das besonders zu denken geben, handelt es sich bei Deutschland doch um unseren wichtigsten Handelspartner.
In diesen schwierigen Zeiten ist nicht nur die Wirtschaft mit ihrer Innovationskraft gefordert. Gefordert ist vor allem auch die Politik. Sie muss die Kraft aufbringen, das Steuer im immer stärker verschuldeten Sozialstaat herumzureissen. Nach wie vor stehen die Zeichen auf Ausbau statt auf Konsolidierung. Das ruft nach enormen finanziellen Mitteln zur Umverteilung. Mit dauernd neuen Steuern aber erreicht die Politik genau das Gegenteil. Der Staat lähmt die Wirtschaft, auf deren Impulse und Erträge die öffentliche Hand angewiesen ist. Im Gegensatz zur Schweiz haben frühere Generationen in Deutschland am eigenen Leib erlebt, was es heisst, wenn ein monetäres System zusammenbricht.
Wir wollen und können es uns nicht leisten, kluge Ratschläge über die Grenze zu verteilen. Die braucht unser Land gegenwärtig selber, wie uns die Schuldenentwicklung beim Bund und die laufende Diskussion um unsere Sozialwerke vor Augen führen. Dass Handlungsbedarf besteht, zeigt die Tatsache, wie rasch unser an sich stabiles, auf drei Säulen basierendes Vorsorgesystem ins Wanken gerät, wenn die Wirtschaft nur schon stagniert.
Dabei ist doch gerade die demografische Entwicklung mit ihren Implikationen auf Gesundheitswesen und Sozialwerke weit vorhersehbar und damit berechenbar. Trotzdem tut sich die Politik unheimlich schwer, die Dinge beim Namen zu nennen und entsprechend zu handeln. So ist doch eigentlich allen klar, dass wir – aufgrund der erfreulichen Tatsache, dass die Leute älter werden – für die AHV künftig mehr aufwenden müssen, um die Leistungen in bisherigem Umfang zu sichern. Ein weiterer Leistungsausbau darf darum kein Thema sein. Zumindest so lange nicht, als das Wirtschaftswachstum hinter dem demografiebedingten finanziellen Mehrbedarf zurückbleibt. Zahlten vor gut 50 Jahren noch 9 Erwerbende für einen Bezüger AHV, sind es heute noch 4. Beunruhigend ist, dass die Kosten im Bereich der Invalidenversicherung aus dem Ruder laufen. Schon fast paradox mutet es an, dass die Leute zwar immer älter werden – de facto also gesünder sind -, aber immer häufiger IV beziehen. In der Stadt Basel sind es rund dreimal so viel wie im landesweiten Durchschnitt. Die Folgen dieser zunehmenden «Invalidisierung» tragen die Steuerzahler und vor allem die erwerbstätige Bevölkerung.
Ein ähnlich verhängnisvoller Trend zeichnet sich bei der zweiten Säule, der obligatorischen beruflichen Vorsorge ab. Deckungslücken drohen hier einseitig auf die im aktiven Erwerbsleben stehende Bevölkerung abgewälzt zu werden. Auch hier müssen kreativere Lösungen gefunden werden und vor allem solche, die dem Einzelfall gerecht werden. Denn sonst bleiben künftig kaum noch Mittel für die private Vorsorge, die dritte Säule.
Es darf nicht sein, dass wir Systeme aufbauen, deren Kosten künftige Generationen zu tragen haben. Das wäre das Ende des Solidaritätsgedankens zwischen den Generationen. Verantwortungsbewusste und gerechte Vorsorgesysteme sind weniger konjunkturabhängig. Sie sind mit jenem Geist ausgestaltet, der sicherstellt, dass der Wirtschaft und den Konsumenten nicht allzu viel Geld entzogen wird. Denn sonst ebnen sie in schwierigen Zeiten geradezu den Weg in die Krise.
*Hannes Germann ist Ständerat und wohnhaft in Opfertshofen. Der 46-jährige Betriebsökonom arbeitete bis Ende 2002 als Wirtschaftsredaktor bei den «Schaffhauser Nachrichten».