
Ob BVG-Reform oder Energiepolitik: Es lohnt sich, tragfähige Kompromisse zu erarbeiten. Tempo ist gut. Kommts aber zum Crash, ist niemandem gedient.
Von Hannes Germann*
Die SGK, zuständig für Soziale Vorsorge und Gesundheit, hat es mit der Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) nicht in die Herbstsession geschafft. Natürlich wäre es vorteilhaft gewesen, im Vorfeld der AHV-Abstimmung auch bei der zweiten Säule Klarheit zu schaffen. Doch die 9-zu-4-Mehrheit der Kommission hat sich in Anbetracht des Zeitdrucks und zu vieler offenen Fragen nicht forcieren lassen. Etliche Nationalrätinnen und natürlich die Medien haben sich darüber kritisch ausgelassen. Als käme es nach über 16 Jahren und zwei gescheiterten Vorlagen auf drei Monate mehr oder weniger an. Hauptsache, es schaut eine mehrheitsfähige Lösung heraus.
Augenmass und Tempo sind in der Energiepolitik gefragt. Was für die einen viel zu lange dauert, geht den anderen viel zu schnell. Bezüglich Energiestrategie, Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative und dem so genannten Mantelerlass hat der Ständerat aufs Gaspedal gedrückt und damit den Weg für eine überfällige Solaroffensive geebnet. Alpine Solar-Grosskraftwerke mit mindestens 10 Gigawattstunden Leistung können unter Umgehung langwieriger Verfahren rasch und unkompliziert realisiert werden. Vorausgesetzt ist das Einverständnis des Kantons und der betroffenen Gemeinden. Alles klar, sollte man meinen.
Haben wir in der oft gelobten «Chambre de Reflexion» das Augenmass verloren und gar die Verfassung verletzt? Nein, weder noch. Wenn man jedenfalls den einschlägigen Basler und St. Galler Kommentaren zu Artikel 102 der Bundesverfassung (BV) mehr vertraut als der kurzen Aktennotiz aus dem Bundesamt für Justiz, ist dem nicht so. Denn besagter Verfassungsartikel verpflichtet den Bund, die Versorgung des Landes mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen sicherzustellen. Darum werden bereits heute Pflichtlager (Getreide, Heizöl, Treibstoffe, Medikamente usw.) gehalten. Und dazu zähle auch der Strom.
Mit Blick auf die Strommangellage können wir darüber streiten, ob nun Handlungsbedarf nach Art. 102 BV besteht. Zuwarten und lamentieren, bis das Blackout eintritt oder aber handeln? «Wollen wir warten, bis uns die Lichter ausgehen, bevor uns ein Licht aufgeht», hat ein Kollege gefragt. Wir haben uns für rasches Handeln entschieden. Der Nationalrat hat sich angeschlossen und die Solaroffensive um den seit 20 Jahren blockierten Höherstau am Grimsel erweitert. Tempo, Timing und Inhalt stimmen.
Die partielle Höhergewichtung der Versorgungssicherheit mit elektrischer Energie rechtfertigt sich durch die Strommangellage (mit teils über 10-fachen Strompreisen) und die Tatsache, dass dieser dringliche Erlass im Gegensatz zum Mantelerlass nur für drei Jahre, also bis Ende 2025 gilt. Das Parlament hat gerade beim Umgang mit Natur und Umwelt (Restwassermengen) Augenmass bewiesen. Was mich mit besonderem Stolz erfüllt: Die von mir präsidierte SVP-Gruppe hat mit sechs von sieben Stimmen den Ausschlag dafür gegeben, dass die Anträge von SP, Grünen und SVP eine Mehrheit gefunden haben. Augenmass statt Übermut.
Wenig Augenmass beweist das 2019 gewählte Parament dagegen im Umgang mit den Finanzen. Was bei Corona unumgänglich war (Kredite für Unternehmen, Kurzarbeit, Härtefallregelung und so weiter), hat die Ausgabenfreude geweckt und sich inzwischen bis zur Masslosigkeit gesteigert – immer wieder mit tatkräftiger Unterstützung von Ratsmitgliedern aus der politischen Mitte. So droht nicht nur die Verletzung der vom Volk mit 84 Prozent beschlossenen Schuldenbremse. Nach fast zwanzig Jahren erfolgreicher Finanzpolitik drohen wieder schmerzhafte Entlastungspakete. Auch das neue Parlament wird lernen müssen, sorgsam mit den vorhandenen Mitteln umzugehen.
* Hannes Germann (SVP) ist Ständerat des Kantons Schaffhausen