Die Schweiz muss die OECD-Steuerreform umsetzen, wenn sie Steuereinnahmen nicht an andere Staaten verschenken will. Der Weg zu einem Ja in der entscheidenden Volksabstimmung ist aber nicht einfach.
Reto Zanettin
Die Steuerreform, welche die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) angestossen hat, flog in den letzten rund zweieinhalb Jahren oft unter dem Radar der Öffentlichkeit. Die Coronakrise und der Krieg in der Ukraine haben den gesellschaftlichen Diskurs weitgehend bestimmt. Dabei geht es bei der Reform um einiges – um eine Mindeststeuer von 15 Prozent für Unternehmen, die weltweit mehr als 750 Millionen Euro Umsatz im Jahr machen etwa und um eine Ergänzungssteuer, die der Schweiz Mehreinnahmen von jährlich 1 bis 2,5 Milliarden Franken eintragen soll.
Der politische Diskurs hat sich mittlerweile darauf verengt, wie dieses Geld zu verteilen sei. Ein Kompromiss muss erst noch gefunden werden, bevor Volk und Stände im nächsten Jahr über das Vorhaben befinden. Rote Linien sind jedoch bereits gezogen. Für Ständerat Hannes Germann (SVP/SH) geht eine Verteilung von je 50 Prozent für Bund und Kantone «auf keinen Fall». Damit neigt er zum lange Zeit favorisierten Vorschlag und fordert sogar: höchstens 25 Prozent der Mehreinnahmen für den Bund, mindestens 75 Prozent für die Kantone. Der Bund solle geringstenfalls 50 Prozent der Mehreinnahmen erhalten, sagt hingegen Priska Birrer-Heimo (SP/LU). Die beiden Mitglieder der Wirtschaftskommission, die das Geschäft behandelt, sind sich, was die Mittelverteilung betrifft, somit uneins. Die Positionen der Sozialdemokratin und des Bürgerlichen sind in diesem Punkt unvereinbar.
«Anlauf gegen die Steuerautonomie der Staaten»
Das kann als Hinweis verstanden werden, dass ein Ja von Volk und Ständen in der Volksabstimmung über die Reform zurzeit noch nicht sicher ist. Die Zustimmung zum neuen Verfassungsartikel ist aber notwendig, wenn die Neuordnung wie von der OECD vorgegeben im Januar 2024 in Kraft treten soll.
Dass Politiker gerne über das Verteilen von Geld diskutieren, ist verständlich. Diese Debatte hat aber staatspolitische Fragen verdrängt, welche die Reform durchaus aufwirft. Schon im Juni 2021 schrieb Nationalrat Andreas Gafner (EDU/BE) in einem Vorstoss, die OECD reite einen «Anlauf gegen die Steuerautonomie der Staaten». Er fragte unter anderem, ob die Landesregierung das «OECD-Steuerdiktat auch als inakzeptablen Eingriff in die Souveränität der Schweiz» einstufe. Die Antwort lautete, der Bundesrat habe auf internationalem Parkett verlangt, dass «die Interessen kleiner, innovativer Länder angemessen berücksichtigt» würden. Die Bedenken waren damit nicht ausgeräumt.
So etwa kommentierten im vergangenen August Christoph Schaltegger und Andrea Opel, beide halten eine Professur an der Universität Luzern, das steuerpolitische Vorhaben. Ausgerechnet im Steuerrecht, das umfassende Eingriffsrechte verleihe, werde die Souveränität der Schweiz via Verfassungsänderung untergraben.
Manche sehen die staatspolitischen Probleme zwar, resignieren aber vor dem Druck, den die OECD aufgebaut hat. Für andere überwiegt, dass international harmonisierte Regeln geschaffen werden, denen die Firmen nicht ausweichen können.
In der Politik ist dieser Ruf nur teilweise angekommen. Manche sehen die staatspolitischen Probleme zwar, resignieren aber vor dem Druck, den die OECD aufgebaut hat. Für andere überwiegt, dass international harmonisierte Regeln geschaffen werden, denen die Firmen nicht ausweichen können.
Schweiz kann sich ein Nein nicht leisten
Eine weitere Konfliktlinie könnte sich also abzeichnen – eine zwischen jenen, die staatliche Souveränität konsequent hochhalten und sich dafür einsetzen, sowie jenen, welche Steueroptimierung und -vermeidung durch Konzerne aufhalten wollen.
Damit die Reform durchkommt, braucht sie ein doppeltes Ja. Dass es noch nicht unter Dach und Fach ist, weiss man zwar auch unter der Bundeshauskuppel. Dennoch glauben einige Politiker nicht ernsthaft an ein Nein, das die Reformumsetzung durch die Schweiz verzögern könnte. Die Schaffhauser Finanzdirektorin Cornelia Stamm Hurter hält Gedanken über einen Plan B, der nach einem abschlägigen Volksbeschluss greifen könnte, für müssig. Sie würden das aktuell laufende Vorhaben unterwandern. Und Finanzminister Ueli Maurer fand an einer Medienkonferenz im Januar, die Schweiz könne sich ein Nein gar nicht leisten. Steuereinnahmen und zahlreiche Arbeitsplätze stünden auf dem Spiel. Zudem drängt die Zeit. Der Bundesrat möchte Anfang 2024 bereit für die globale Mindeststeuer sein.
Dieser Druck überträgt sich auf die Stimmbürger, die in wenigen Monaten einen wichtigen Entscheid fällen werden. Können sie sich ein Nein überhaupt noch erlauben? Ökonom Christoph Schaltegger widerspricht Finanzminister Ueli Maurer, wenn er vorhersagt: «Bei einem Nein von Volk und Ständen würde nichts passieren – ausser dass allenfalls andere Staaten die zusätzlichen Steuereinnahmen beanspruchen, was die Schweiz fiskalpolitisch jedoch verkraften könnte.» Zudem gingen weder Arbeitsplätze verloren, noch würde die Gesamtwirtschaft Schaden nehmen.
Das Narrativ des Bundesrates – die Schweiz müsse mitmachen, weil sich andernfalls Nachteile ergäben – ist demnach nicht alternativlos. Genau diese Einsicht öffnet die Debatte wieder. Der Volksentscheid für oder gegen die Reform wird damit weniger stark von äusserem Druck gelenkt.
Ein Ja wäre ein Erfolg für den bald abtretenden Ueli Maurer, der das Vorhaben als Finanzminister geprägt hat. Ein Nein bedeutete indes nicht zwingend das Aus für die Steuerreform in der Schweiz. Bundesrat, Parlament und Kantone könnten Ideen heranziehen, die bereits in der Vernehmlassung vorgetragen wurden. Eine Gruppe von Professoren der Universität St. Gallen (HSG) wollte dem Bund beispielsweise lediglich eine Steuerharmonisierungskompetenz zuschreiben. Folglich würde die OECD-Mindeststeuer stärker auf kantonaler Ebene verwirklicht. Das würde der bestehenden Schweizer Verfassungsordnung eher entsprechen als der nun vorgeschlagene Artikel, der dem Bund weitreichende Möglichkeiten offen hält. Freilich würde dieser Plan nur funktionieren, wenn der Bund seine Harmonisierungskompetenz zurückhaltend ausübt.