Schaffhauser Nachrichten: Ungute Gefühle und grundsätzliche Kritik

Die vier Schaffhauser Bundesparlamentarier monieren das interne Nagra-Papier. Der Vertrauensverlust sei gross.

Von Zeno Geisseler

Das am Sonntag publizierte Dokument der Nagra über die Standortsuche für ein Tiefenlager für radioaktive Abfälle sorgt auch bei den Schaffhauser Bundesparlamentariern für Unmut. «Die Angelegenheit ärgert mich», sagt SVP-Ständerat Hannes Germann. «Und sie hinterlässt ein ungutes Gefühl.» Den Regionen sei ein faires Verfahren versprochen worden, «doch das passiert offenbar nicht». Stattdessen sehe es so aus, dass bereits eine Vorauswahl getroffen worden sei. Er sei von Anfang an davon ausgegangen, dass der mögliche Standort Südranden bloss ein Ablenkungsmanöver gewesen sei. «Dieser Verdacht ist jetzt erhärtet worden.» Die Nagra, und allenfalls auch der Bundesrat, müssten nun klar Stellung beziehen, fordert Germann.

«Es hat mich leider überhaupt nicht überrascht, was hier passiert ist», ergänzt SP-Nationalrat Hans-Jürg Fehr. «Ich fühle mich bestätigt.» Als Mitglied der Regionalkonferenz Südranden erlebe er seit über einem Jahr ein «abgekartetes Spiel»: «Die Regionalkonferenz ist Beschäftigungspolitik für hundert gut meinende Bürger.» Tatsächlich sei ein Vorentscheid bereits gefallen. Hinter den Kulissen interessiere keinen, was auf der Bühne laufe. Die Vertreter des Bundesamtes für Energie an den Regionalkonferenzen würden von der Nagra am Gängelband geführt. Da sei es für Schaffhausen auch zweitrangig, wenn, wie im internen Nagra-Papier festgehalten, der Standort Südranden aus dem Rennen falle: «Die Kantonsgrenze spielt keine Rolle. Mit Zürich-Nordost, also Benken, haben wir ein Endlager vor der Haustür.» Skeptisch beurteilt Fehr die Forderung, die Führung der Nagra auszuwechseln. «Das würde das Problem nicht lösen», sagt er. «Die Nagra ist eine Organisation der Atomindustrie. Sie hat deren Interessen und nicht die der Bevölkerung im Fokus.» Deshalb müsse die ganze Endlagersuche völlig neu aufgezogen werden. Eine unabhängige staatliche Behörde müsse jetzt das Heft in die Hand nehmen. «Es war sicher keine Überraschung», sagt SVP-Nationalrat Thomas Hurter, «dass Planspiele gemacht werden.» Was jetzt passiert sei, sei aber nicht gerade vertrauenerweckend. Es sei wichtig, dass das Verfahren transparent und fair ablaufe und keine Entschlüsse im Hinterhalt getroffen würden. Es sei auch Aufgabe der Politik, dies zu überprüfen. «Wir werden jetzt noch genauer hinschauen.» Grundsätzliche Kritik äussert auch der parteilose Ständerat Thomas Minder. Er stört sich prinzipiell am Vorgehen, das heisst daran, dass jetzt schon an allen potenziellen Standorten Regionalkonferenzen zusammenkommen und über die Oberflächenanlagen sprechen: «Am Schluss gibt es ein bis höchstens zwei Standorte. Man sollte zuerst den Standort für das Tiefenlager festlegen und erst dann die Oberflächenanlagen diskutieren.»

«Heimatschutz statt Kooperation»

Minder hat erst vor Kurzem bei einer Reise für Parlamentarier und Behördenmitglieder Lagerstandorte in Schweden und Deutschland besucht. «In Skandinavien will man im Granit lagern, in der Schweiz im Opalinuston, in Deutschland setzte man auf Salz- und Erzbergwerke, und in Frankreich lagert man an der Oberfläche.» Es werde Heimatschutz betrieben, statt dass man international kooperiere. «Jeder meint, er müsse das Rad neu erfinden.» Minder spricht sich für eine internationale Lösung oder zumindest für eine länderübergreifende Zusammenarbeit aus. Der Neuhauser Unternehmer und Politiker warnt weiter davor, der Wissenschaft blind zu vertrauen: «Wir entscheiden heute auf Tausende von Jahren hinaus, was Sicherheit ist. Das ist überheblich oder auch einfach nur blöd.» Nicht mal auf 20, 30 oder 50 Jahre hinaus sei dies möglich. Dies habe ihm gerade der Fall Asse deutlich gezeigt. In diesem deutschen Salzbergwerk im Bundesland Niedersachsen rund 200 Kilometer südlich von Hamburg waren über 120 000 Fässer mit schwach- und mittelradioaktiven Abfällen vermeintlich sicher gelagert worden, jetzt sollen die Abfälle mit grossem Aufwand zurückgeholt werden. «Und Asse war auch nicht schnell an Feierabend am Stammtisch entschieden worden», sagt Minder. Auch bei der Schweizer Sondermülldeponie Kölliken habe man zuerst gedacht, sie sei sicher – ein Trugschluss.