von Norbert Neininger
Eine Woche vor den Wahlen sind die Argumente ausgetauscht, die Motive und Absichten der Kandidatinnen und Kandidaten offengelegt. In Dutzenden von Diskussionen, in noch mehr Interviews und auf allen Kanälen haben wir erfahren, wes Geistes Kind jene sind, die sich wieder oder neu um einen Sitz im National- oder im Ständerat bewerben; die Bisherigen haben ihrem Leistungsausweis die Zukunftsabsichten hinzugefügt. Sie, SVP-Ständerat Hannes Germann und SP-Nationalrat Hans-Jürg Fehr, können wir an ihren Taten messen: Sozialdemokrat Fehr, bereits 63, gehört zum linken Flügel seiner Fraktion, die neue Generation um Christian Levrat politisiert nicht weniger hart, aber verbindlicher. Hannes Germann hat sich innert kürzester Zeit einen Namen als bodenständiger und zuverlässiger Vertreter des Kantons Schaffhausen, aber auch der Schweizerischen Volkspartei gemacht und kann sich nach seiner Wiederwahl Chancen auf eine lange und erfolgreiche politische Karriere ausrechnen.
Unserer bereits publizierten Ständerats-Wahlempfehlung für das Duo Germann/Heydecker (die zwei Besten von fünf Guten) gibt es wenig beizufügen. Herbert Bühl (ÖBS), Matthias Freivogel (SP) und Thomas Minder, dessen Engagement für seine Abzocker-Initiative respektheischend ist, sind valable Persönlichkeiten, wobei vor allem die langfristige Ausrichtung Minders schwer einzuschätzen bleibt. Nach anfänglichem Flirt mit der SVP hat er sich nun für die Grünliberale Partei entschieden, deren Fraktion er bei einer Wahl beitreten dürfte. Bühl und Freivogel sind hierzulande beschriebene Blätter, ohne den Atomunfall in Japan hätte Bühl nicht kandidiert, sagt er freimütig, und so bleibt offen, wie weit ihn die abflachende grüne Welle noch trägt. Freivogel, ein treuer Diener seiner Partei, zögert nie lange, wenn Not am Mann ist. Wäre es den Sozialdemokraten diesmal im Kampf ums Stöckli ernster gewesen, hätte wohl Hans-Jürg Fehr, und dafür wäre ihm dann Respekt gezollt worden, den riskanten Wechsel anstreben müssen.
Die Bedeutung der Politik wird noch wichtiger
Hans-Jürg Fehr hat es vorgezogen, den vermeintlich sicheren Weg in den Nationalrat einzuschlagen. Warum wir statt seiner lieber den Vertreter einer liberalen Politik – durchaus mit Rücksicht auf Umwelt und sozial Schwache – in Bern sähen, haben wir bereits begründet. Unter den 21 zur Auswahl stehenden Kandidatinnen und Kandidaten scheinen uns die auf der freisinnigen Liste kandidierenden Roger Paillard und Christoph Schärrer geeignet, ihr auf Freiheit und Verantwortung fussendes liberales Gedankengut in den Nationalrat zu tragen. Thomas Hurter, der für die SVP vor vier Jahren den Sitz der Freisinnigen eroberte, rundet das liberal-bürgerliche Ticket ab; er hat sich als Sicherheits- und Wirtschaftspolitiker einen guten Namen geschaffen und ist parteigrenzüberschreitend sehr gut vernetzt. Auf das neue Parlament warten grosse Aufgaben. Man muss davon ausgehen, dass die Konjunktur schwächer werden wird, und noch ist die Gefahr eines Zusammenbruchs des Finanzsystems nicht ausgestanden. Die Politik spielt eine (noch) wichtigere Rolle, sie setzt nicht nur die Rahmenbedingungen, sondern musste und muss auch dort direkt eingreifen, wo die ungezügelten Marktkräfte ausser Rand und Band gerieten. Freiheit, auch wirtschaftliche Freiheit, kann nur anhalten, wenn sie verantwortlich wahrgenommen wird, Marktwirtschaft hat nur Bestand, wenn sie zugleich zu menschengerechten Bedingungen für alle führt. Masshalten und Augenmass sind nicht nur bei den Managerlöhnen das Gebot der Stunde, wer seine Freiheit rücksichtslos und eigennützig bis zum Letzten ausreizt, der wird sie in einer demokratischen Gesellschaft verlieren. Mit diesem Bewusstsein werden Politik und Wirtschaft einen Schulterschluss eingehen müssen und – unter Wahrung der Abgrenzung – im Sinne des Landes handeln. Die Restauration der Konkordanz ist eine Grundbedingung für gemeinschaftliches Handeln, die Wahrung der Unabhängigkeit und der Eigenständigkeit ebenfalls. Ein Beitritt zur Europäischen Union durch die Vorder- oder durch die Hintertür mittels Integration durch ein nicht mehr aufknüpfbares Netz bilateraler Verträge würde die Errungenschaften der Schweiz in Frage stellen. Wir sollten jetzt und künftig auf jene Kräfte setzen, welche einen höchstmöglichen Grad an Freiheit mit einem ebenso grossen Mass an Verantwortung verbinden.