Mehrere SP-Politikerinnen und Politiker haben ihre Kandidatur für einen Sitz im Stände- oder Nationalrat bei ihrer Sektion angekündigt. Es kommt zum internen Duell zwischen alten Kräften und Neuzugängen aus der Alternativen Liste.
Fabienne Jacomet, Dario Muffler, Robin Blanck
Der Startschuss für den Wahlkampf um die Schaffhauser Sitze in Bundesbern ist gefallen. Die Vertreterinnen und Vertreter der SP wagen sich aus der Deckung und kündigen ihre Kandidaturen bei ihrer Sektion an . Die SP der Stadt Schaffhausen wird dann zuhanden der kantonalen SP ihre Kandidaten vorschlagen (siehe Text unten). Das Rennen um die städtische Nomination verspricht einiges an Spektakel. Es ist der Kampf zwischen alten und neuen Kräften.
«Ja, ich will Ständerat werden!» Mit diesen Worten hat der ehemalige Schaffhauser Stadtrat Simon Stocker am Donnerstag in einem Facebook-Post angekündigt, dass er bei der städtischen SP-Sektion seine Kandidatur für den Posten in Bern eingereicht hat (SN von gestern). «Politik bedeutet für mich, Verantwortung zu übernehmen und die Gesellschaft mitzutragen», schrieb er. In den letzten Monaten sei der Gedanke in ihm gereift. «Ich traue mir die Aufgabe zu, bin motiviert und überzeugt, dass ich mit meiner Erfahrung und meinem Interesse an Menschen die richtige Person im Ständerat bin.»
Am Telefon gibt sich Stocker noch zurückhaltend: «Ich will keine all zu grosse Sache daraus machen.» Zuerst müsse die städtische SP entscheiden, ob sie ihn der Delegiertenversammlung der kantonalen SP vorschlage. «Dann schauen wir weiter», sagt er. Und wieso der Ständerat? «Die Art und Weise, wie dort politisiert wird, entspricht meiner Person.» Miteinander Lösungen zu finden, zu verhandeln, dazu sei er bereit. «Das ist meine Stärke, wie ich schon im Stadtrat bewiesen habe.»
Die Konkurrenz im Kampf um den Einzug in den Ständerat ist jedoch gross, und die beiden Sitze sind fest in bürgerlicher Hand. Mit Hannes Germann (SVP) stellt Schaffhausen einen der amtsältesten Ständeräte. Thomas Minder ist zwar parteilos, ist aber ebenfalls Teil der SVP-Fraktion. Seit 1991 gab es keinen Ständeratssitz mehr für die SP. Wie seine Chancen stehen, möchte Stocker noch nicht beurteilen, solange seine Partei noch nicht über die Kandidatur entschieden hat. Nur: «Mein Herz schlägt für den Ständerat.» Der Nationalrat sei für ihn nicht infrage gekommen. «Der Sitz der SP ist gesichert und ich bin sicher, dass wir eine gute Liste stellen werden.»
Tanner und De Ventura sagen Ja
Mit im Kandidatenfeld der städtischen Anwärter ist auch Urs Tanner. Der langjährige Grossstadtrat hat in der Vergangenheit keinen Hehl daraus gemacht, dass er Ambitionen für Bundesbern hat. Bei den letzten Wahlen 2019 war er auf der Nationalratsliste an zweiter Stelle hinter der gewählten Martina Munz aufgelistet. «Ich kämpfe seit über 35 Jahren für die linke Politik», sagt er. Er brenne nach wie vor für sein Amt in Schaffhausen. «Aber wie der FC Schaffhausen will auch ich irgendwann in die Super League.»
Tanner ist Realist genug, um zu wissen, dass ein Angriff auf einen bürgerlichen Ständeratssitz mit deutlich geringeren Erfolgschancen verbunden ist, als für die SP in den Nationalrat gewählt zu werden. Gleichwohl lässt er der Partei offen, ob sie ihn für den Ständerat oder den Nationalrat aufstellt. «Die Partei ist schlauer und wird richtig entscheiden», sagt der 55-Jährige. Wie hoch seine Chancen seien, von der städtischen SP-Sektion zuhanden der Kantonalpartei nominiert zu werden, will Tanner nicht schätzen. Er sagt aber: «100-Meter-Sprinter gibt es in der Politik genügend, Marathonläufer nur wenige.»
Was Tanner meint: Seit der Auflösung der AL Schaffhausen hat die SP einige Neumitglieder, die Ambitionen haben. Herumgereicht wurden in der Politszene verschiedene Namen. Nun bestätigt Linda De Ventura, ehemalige AL-Kantonsrätin, die nun auch für die SP politisiert: Sie hat sich in das interne Nominationsverfahren begeben. «Ich will die Nachfolgerin von Martina Munz werden», sagt sie gegenüber den SN. «Ich sehe das als richtigen Weg für mich und würde dieses Amt sehr gerne ausüben.» Sie sei von Weggefährten darin bestärkt worden, diesen Schritt zu wagen.
De Ventura politisiert seit 2015 im Kantonsrat. Zuerst für die AL und seit deren Auflösung in diesem Jahr für die SP. Dass sie erst seit Kurzem SP-Mitglied ist, sei zwar ein Nachteil. Als langjährige SP-Politikerin wären ihre Chancen sicher noch grösser. «Aber ich denke, die SP-Mitglieder sehen, dass ich stets für die linke Sache politisiert und eins zu eins SP-Positionen vertreten habe», sagt De Ventura.
Portmann will, Loliva verzichtet
Einer, der schon länger in der SP politisiert, ursprünglich aber aus der CVP kommt, ist Patrick Portmann. «Ja, ich habe meinen Hut in den Ring geworfen», sagt der Co-Präsident der SP und kündigt damit seine Kandidatur für den Nationalrat an. Er hatte schon früher Interesse signalisiert und will es jetzt wagen: Er kann sich sowohl den ersten als auch den zweiten Listenplatz vorstellen, «aber ich würde sowieso einer Frau den ersten Listenplatz überlassen.» Er sei ein Politiker mit Ecken und Kanten, «mir ist klar, dass ich innerhalb der Stadtpartei nicht nur auf Zustimmung stosse, aber ausserhalb der Politik geniesse ich breite Zustimmung.» Dass er auch heisse Eisen anpacken wolle, habe er in der Vergangenheit gezeigt, etwa wenn er auch Parteiexponenten wie Regierungsrat Walter Vogelsanger kritisiert habe. Portmann sieht sich als Vertreter der Care-Arbeit und wirbt mit dem Slogan «Mit Fachkompetenz aus dem Gesundheitswesen in den Nationalrat. Dieser Bereich ist in Bern bisher fast nicht vertreten.»
Zusammen mit Portmann leitet Romina Loliva seit letztem März die SP Schaffhausen. Damals hat sie eine Kandidatur noch nicht ausgeschlossen. Aber: «Im Moment passt das nicht in meinen Lebensplan», sagt die Politikerin, die in den kommenden Tagen ihr zweites Kind zur Welt bringen wird. Sie leitet den Wahlkampfausschuss der Partei und würde sich wünschen, dass sowohl für den Stände- als auch den Nationalrat eine Kandidatur zustande käme. Die Nomination von Frauen wäre ihr überdies ein Anliegen. Loliva sähe gern «progressive Kräfte» in Bern, gleichzeitig müsse man bereits jetzt an den Generationenwechsel denken, «ob das bereits jetzt oder während der Legislatur passiert, muss die Partei noch beschliessen», sagt sie. Von der Amtsinhaberin Martina Munz habe man gute Signale: «Sie hat deutlich gemacht, nochmals antreten zu wollen, wenn die Parteibasis das will.» Gleichzeitig sei es angesichts des Alters von Martina Munz auch bei einer Wiederwahl nicht zu erwarten, dass sie nochmals die vollen vier Jahre im Amt bleiben würde. «Das wollen wir auch so transparent machen», sagt Loliva.
Martina Munz bestätigt auf Anfrage, dass sie nochmals antreten werde. Sie hält sich aber alle Optionen offen. «Ich behalte mir aber vor, während der Legislatur zurückzutreten, wenn es gesundheitliche Umstände nötig machen würden», sagt sie.
Die Wahlsysteme, die Szenarien, der Fahrplan und das Rennen im Schatten
Wenn am 22. Oktober 2023 die beiden Schaffhauser Sitze im National- und Ständerat besetzt werden, kommen zwei unterschiedliche Systeme zur Anwendung: Die Sitze im Nationalrat werden nach Proporzsystem vergeben, es werden also Parteien gewählt. Im Ständerat hingegen geht es um eine Majorzwahl. Gewinner sind jene, die am meisten Stimmen erhalten, es geht konkret um Personen und weniger um die Partei. Dieser Unterschied bestimmt die Wahl ganz wesentlich mit, aber gerade auch mögliche Szenarien nach einer Wahl werden davon geprägt.
Weil im Nationalrat Listen mit mehreren Namen gewählt werden, folgt im Falle eines Rücktritts der oder des Gewählten während der Legislatur die auf der Liste zweitplatzierte Person. Konkret: Würde die Schaffhauser SP-Nationalrätin Martina Munz ihren Rücktritt per sofort bekannt geben, würde bei heutigem Stand Urs Tanner als Zweitplatzierter (aus der Wahl 2019) auf der SP-Liste für sie in den Nationalrat nachrücken – ganz ohne Wahlgang.
Anders beim Ständerat: Würde Ständerat Hannes Germann kurzfristig von seinem Amt ausscheiden, müsste erneut eine Wahl im Majorzsystem ausgerichtet werden.
Das hat Auswirkungen auf die möglichen Szenarien: Treten alle Bisherigen erneut an und werden wiedergewählt, gibt es verschiedene Möglichkeiten:
Szenario 1: Nationalrätin Martina Munz tritt während der Legislatur zurück, die Person auf der zweiten Linie rückt nach – ohne Wahlgang. Die SP sichert den Sitz.
Szenario 2: Ständerat Hannes Germann tritt während der Legislatur zurück. Nationalrat Thomas Hurter will sich in der Ersatzwahl den Germann-Sitz sichern: Gelingt das, tritt er im Nationalrat zurück, die Person auf der zweiten Linie der SVP-Liste rückt ohne Wahlgang in den Nationalrat nach. Klappt die Wahl Hurters in den Ständerat nicht, bleibt er Nationalrat.
Natürlich ist auch nicht ausgeschlossen, dass es bereits beim ersten Wahlgang einem Kandidaten gelingt, einen Bisherigen abzulösen.
Langjährige Polit-Beobachter erachten aber eine Kombination aus den Szenarien 1 und 2 als wahrscheinlich: Die Chancen von Neuen gegen Bisherige haben sich in der Vergangenheit als gering erwiesen, deshalb ist eine erneute Wahl der Amtsinhaber realistisch einzustufen. Was dabei auch klar wird: Das eigentliche Rennen passiert vermeintlich im Schatten – und dreht sich um die Frage: Wer kommt bei SP und SVP auf die zweite Linie? Diese Kandidierenden haben gute bis sehr gute Chancen, dereinst kampflos nach Bern nachzurücken.
Der Fahrplan der SP sieht wie folgt aus: Die Sektionen haben bis Ende Jahr Zeit für ihre Vorschläge zuhanden der kantonalen Partei, die Stadtsektion wird am 9. November über ihre Kandidaturen befinden. Für den Januar sind Hearings angesetzt, sodass am 9. März die Nomination der Partei erfolgen kann. (rob)