Es hätte der Tag werden sollen, an dem der Bundesrat Stellung bezieht. Lehnt er das Rahmenabkommen mit der EU ab, oder nimmt er es an? Die Landesregierung hat sich stattdessen – man munkelte es schon länger – für einen dritten Weg entschieden: Sie schickt das Abkommen in die Konsultation. Das kommt nicht nur gut an.
Anna Kappeler
BERN/SCHAFFHAUSEN. «Zur Kenntnis genommen.»: Das ist der Satz, welcher der Bundesrat gestern an seiner Pressekonferenz zum Rahmenabkommen gefühlt am häufigsten gebrauchte. Gleich zu dritt haben der amtierende Bundespräsident Alain Berset, Aussenminister Ignazio Cassis und Ueli Maurer als Bundespräsident des kommenden Jahres gestern über den Stand der Dinge in der Europapolitik informiert. Fazit: Man habe «das derzeitige Verhandlungsergebnis zum institutionellen Abkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union zur Kenntnis genommen». In weiten Teilen sei dieses im Interesse der Schweiz. Aber eben nicht überall. Bei den flankierenden Massnahmen und der Unionsbürgerrichtlinie gebe es offene Punkte. Genau deswegen sage der Bundesrat weder Ja noch Nein dazu, sondern schicke es stattdessen in die Konsultation. Und veröffentliche aber erstmals das Abkommen.
Cassis will «den Puls spüren»
Der Vorteil an diesem Weg laut Aussenminister Cassis: «Nach den Konsultationen werden wir den Puls gespürt haben. Aufgrund dieses Resultates können wir dann im Frühling im Bundesrat wieder eine Auslegeordnung vornehmen.» Danach werde man schauen, welches Gespräch man mit der EU führe. «Dabei ist alles offen, vom totalen Ja bis zum totalen Nein.» Auf die Frage einer Journalistin, ob der Bundesrat eine Meinung dazu habe, welche Lösung die bessere wäre, sagte Cassis: «Der Bundesrat unterstützt das Paket in weiten Teilen, aber nicht in allen.» Das Ergebnis genüge nicht, um das Abkommen zu paraphieren. Die EU habe im Übrigen nie verlangt, dass der Bundesrat heute Ja oder Nein sage.
Er habe dieses Vorgehen gestern auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mitgeteilt, ergänzte Bundespräsident Berset. Und zwar in einer freundschaftlichen Atmosphäre. Die Beziehungen zur EU seien gut. In der Politik gebe es immer Mittelwege, sowohl die Schweiz als auch die EU müsse nach den Konsultationen eine erneute Kosten-Nutzen-Analyse vornehmen. Auf die Frage, ob die EU der Schweiz nun die Börsenäquivalenz verlängere, sagte Bundesrat Maurer, diesbezüglich sei er zuversichtlich.
Kritik von Germann und Minder
Kritik am Bundesrat üben indes die beiden Schaffhauser Parlamentarier, die in der Aussenpolitischen Kommission sitzen. Ständerat Hannes Germann (SVP) sagt den SN: «Der Bundesrat spielt auf Zeit. Mit dem Nichtentscheid ist das Problem allerdings nur verschoben, irgendwann muss die Schweiz ja entscheiden.» Wie die EU darauf reagiere, werde sich weisen. Sie wolle im Vorfeld des Brexit wohl keine Konzessionen machen. Innenpolitisch bestünde ein hohes Risiko eines Vertragsabsturzes – von links wegen des mangelnden Arbeitnehmerschutzes, von rechts etwa wegen der Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie. Der Entscheid der Landesregierung ist für Germann zwar nachvollziehbar, «zeugt aber nicht von Führungsstärke des aktuellen Bundesrates». Ihm persönlich sei es zwar recht, wenn er hart bleibe und der Bundesrat dann erst in der neuen Zusammensetzung mit Karin Keller-Sutter und Viola Amherd entscheide. Nicht hilfreich sei aber, dass das Parlament den Vertrag bislang noch nie gesehen habe.
Den letzten Punkt ärgert auch Ständerat Thomas Minder (parteilos): «Ich hätte den Vertrag von Anfang an für alle ersichtlich ins Netz gestellt.» Überhaupt, sagt Minder: «Wenn ich Bundesrat wäre, hätte ich dem Rahmenabkommen zugestimmt.» Nicht weil er dieses befürworte, sondern weil die Schweiz so nicht das Gesicht gegenüber Brüssel verliere. «Und», fügt Minder an, «weil der Vertrag in seiner jetzigen Form im Parlament oder allerspätestens vor dem Volk sowieso abstürzt. Denn: Er ist eine Totgeburt.»
Noch keinen Entscheid getroffen hat der Bundesrat zur Verteilung der Departemente.