von Hannes Germann
Rund fünf Jahre nach der Finanzierungslücke bei der AHV droht sich in der Schweiz eine weitere, mindestens so bedrohliche aufzutun: die Lücke bei der Stromversorgung. Immerhin bleibt noch etwas Zeit, bis die Lieferverträge für den Import von französischem Atomstrom auslaufen. Ab 2020 aber droht ein dramatischer Engpass bei der Energieversorgung. Was das heisst, kennen wir bereits aus der unliebsamen Erfahrung mit nicht erneuerbaren fossilen Energieträgern. So hat sich der Rohölpreis am Weltmarkt seit 1997 etwa vervierfacht. Auch ein zugedrehter Gashahn in der Ukraine vermag in den westeuropäischen Ländern Wirtschaft und Haushalte gleichermassen zu beunruhigen. In der dritten Sessionswoche befasst sich nun der Ständerat im Rahmen der Beratungen über den Strommarkt mit dieser Problematik. Mit den Änderungen im Stromversorgungsgesetz und im Elektrizitätsgesetz soll die Rechtssicherheit verbessert werden.
Rechtssicherheit ist für Investitionen und für die Verbesserung bei der Versorgungssicherheit im Elektrizitätsbereich entscheidend. Der Markt soll nach dem Willen des Bundesrates schrittweise geöffnet werden. Während einer fünf Jahre dauernden Teilöffnung des Marktes erhalten alle kommerziellen Verbraucher Zugang zum Markt. Nach fünf Jahren sollen auch private Haushalte von dieser Möglichkeit profitieren können. Schliesslich soll die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien bis ins Jahr 2030 um 5400 Gigawattstunden erhöht werden. Die dafür erforderlichen Stromerzeugungsanlagen sollen mittels Preisaufschlägen auf den Netztarifen finanziert werden.
Im Grundsatz folgt die ständerätliche Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (Urek) den Intentionen von Bundesrat und Nationalrat. Die Urek beharrt aber auf einem sanften Vorgehen bei der Öffnung des Strommarktes. Das Volk soll nach der fünfjährigen Teilöffnung die Möglichkeit zur Referendumsabstimmung erhalten. Weitere Kernpunkte sind:
- die Schaffung einer nationalen Netzgesellschaft, die nach einer Übergangsfrist von fünf Jahren Eigentümerin des Übertragungsnetzes wird;
- die Vereinfachung des Massnahmenpakets zum Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien unter stärkerer Berücksichtigung der Wasserkraft und des Ausschlusses der Erzeugung aus sehr teuren Anlagen. Für die jeweiligen Subventionsmassnahmen wird ein Kostendach geschaffen;
- die Definition des Ziels zur Stabilisierung des Endenergieverbrauchs der Haushalte bis 2030. Dies soll mit der Einführung von Verbrauchsvorschriften für Elektrogeräte sowie für Neu- und Umbauten im Gebäudebereich erreicht werden.
Der Wirtschaft geht die Liberalisierung zu wenig weit. Ein mit der schrittweisen Marktöffnung verbundener Nachteil ist zweifellos die (vorübergehende) Benachteiligung der KMU gegenüber Grossabnehmern. Moniert werden auch die staatlichen Interventionen, wie sie etwa zur Förderung der erneuerbaren Energien ergriffen werden. Diesen von Wirtschaftsseite beklagten Nachteilen muss erstens entgegengehalten werden, dass mit dem Schritt in Richtung Liberalisierung immerhin eine wichtige Weichenstellung für einen funktionierenden Strommarkt gemacht wird. Es ist – wie die Erfahrung gezeigt hat – das politisch Machbare dem Wünschbaren vorzuziehen. Und zweitens: Die Förderung erneuerbarer Energien kann nur über gewisse Interventionsmassnahmen zielstrebig vorangetrieben werden. Aus meiner Sicht wäre es freilich fatal, wenn die Schweiz hier den Anschluss erneut verpassen und noch mehr in Rückstand geraten würde. Darum braucht es jetzt ein klares Bekenntnis der Politik für die Förderung erneuerbarer Energien. Diese Vorinvestition wird sich früher oder später bezahlt machen.