Schaffhauser Nachrichten: «Wichtiger Schritt» – «Unfair für Mieter»

Am 23. September stimmt das Schweizer Stimmvolk über die Initiative des Hauseigentümerverbandes «Sicheres Wohnen im Alter» ab. Zwei Schaffhauser Parlamentarier legen im Streitgespräch der SN ihre Argumente dar. Hans-Jürg Fehr (SP) lehnt die Initiative ab, Hannes Germann (SVP) befürwortet sie.

Von Sidonia Küpfer

Hannes Germann, Sie unterstützen, die Initiative «Sicheres Wohnen im Alter». Warum soll ihrer Meinung nach das Stimmvolk Ja sagen?

Hannes Germann: Es ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Viele Leute empfinden den Eigenmietwert als ungerecht. Der Staat besteuert ein Einkommen, das es gar nicht gibt, systembedingt wird die Ungerechtigkeit in dem Moment noch grösser, in dem das Erwerbseinkommen wegfällt. Das ist beim Übergang zum AHV-Alter. Darum sollen die Leute zu diesem Zeitpunkt den Systementscheid für schuldenfreies Wohnen im Alter fällen können.

Herr Fehr, Sie sehen das ganz anders?

Hans-Jürg Fehr: Ja, ich sehe das völlig anders. Es geht um einen Steuervorteil, den man einer kleinen Gruppe innerhalb der Bevölkerung zuschanzt, den pensionierten Eigenheimbesitzern, und den man allen anderen vorenthält. Darin steckt eine doppelte Ungerechtigkeit: Es ist ungerecht gegenüber den Mietern, die zwei Drittel der Bevölkerung ausmachen und die keinen solchen Abzug machen können, und es ist ungerecht gegenüber den nicht pensionierten Eigenheimbesitzern, die von dieser Entlastung ebenfalls nicht profitieren. Wir privilegieren eine Gruppe von rund 12 Prozent der Steuerpflichtigen, obwohl es keinen Grund gibt, anzunehmen, dass diese Gruppe eine Bevorzugung nötiger habe als irgendeine andere auch.

Kreieren Sie mit dieser Initiative eine neue Ungerechtigkeit?

Germann: Im Gegenteil, wir beseitigen eine störende Ungerechtigkeit. Wer keinen Hypothekarzinsabzug macht, soll auch keinen Eigenmietwert aufgebrummt erhalten. Da sehe ich absolut keine Steuerungerechtigkeit. Mit der Logik, die Hans-Jürg Fehr vertritt, könnte man auch sagen, die AHV sei ungerecht. Die bekommt man ja auch erst im Pensionsalter. Die AHV markiert einen Einschnitt im Leben: Das Einkommen sinkt, und wer dann sein selbstgenutztes Wohneigentum abbezahlt hat, soll nicht noch mit dem Eigenmietwert, einem fiktiven Einkommen, bestraft werden. Sonst ist ja die verfassungsmässige Förderung des Wohneigentums eine Farce. Fehr: Es ja nicht so, dass man kein Einkommen mehr hat nach der Pensionierung. Man hat statt des Erwerbseinkommens das Renteneinkommen, das laut gesetzlichen Vorgaben vergleichbar sein soll. Die AHV, Hannes Germann, bekommen ja auch nicht nur die Hausbesitzer, sondern alle Pensionierten. Mit der Initiative will man die alten Eigenheimbesitzer gegenüber den alten Mietern bevorteilen. Es ist kein erster Schritt, das ist eine Fünfer-und-Weggli-Politik. Ich bin für eine Abschaffung des Eigenmietwerts, wenn man gleichzeitig alle damit verbundenen Abzüge abschafft und dann aber für alle, bitteschön, nicht nur für die Pensionierten.

Wären Sie da dabei, Herr Germann?

Germann: Selbstverständlich nicht. Es ist doch das Normalste der Welt, dass man einen Unterhaltsabzug machen kann. Ein Liegenschaftsbesitzer, der später seine Liegenschaft vermietet, darf das ja auch tun. In seiner Immobilienrechnung kann er sogar sämtliche Aufwendungen in Abzug bringen. Warum sollte man ausgerechnet Leute, die ihre Eigentumswohnung oder ihr Haus selbst bewohnen, benachteiligen? Würde der Unterhaltsabzug ganz wegfallen, so wäre es eine Benachteiligung des Eigenheimbesitzers. In unserer Verfassung ist aber die Förderung von Wohneigentum festgeschrieben. Fehr: Der korrekte Vergleich ist nicht der des Eigenheimbesitzers mit dem Vermieter von Wohnungen. Der korrekte Vergleich ist der des Eigenheimbesitzers mit dem Mieter. Es geht um die Wohnkosten, die ein Einzelner hat. In der Miete ist natürlich der Unterhalt der Wohnung schon eingeschlossen. Wenn man alle gleich behandeln will, muss man den Eigenmietwert mit allen Abzügen abschaffen.

Nun steht ein kompletter Systemwechsel aber nicht zur Debatte.

Fehr: Jeder, der je vom Status des Mieters zum Status des Hausbesitzers gewechselt hat, ich gehöre auch dazu, weiss, dass das ein grosser Schritt zur steuerlichen Entlastung ist. Man bezahlt in einer vergleichbaren Wohnung als Besitzer klar weniger Steuern, weil man gesetzlich erlaubt, dass der Eigenmietwert nicht auf der Höhe des Mietwerts angesiedelt wird, sondern vielleicht auf 60 Prozent des Mietwerts. Darin steckt schon heute eine systematische Bevorzugung des selbst genutzten Hauseigentums, und das wird jetzt noch verstärkt durch diese Initiative, und zwar zugunsten einer Gruppe, die es gar nicht speziell nötig hat. Germann: Hans-Jürg Fehr blendet den Sinn des Systems völlig aus. Wer Eigentum bildet, wird ein Leben lang dafür besteuert. Er muss seine Immobilie im Vermögen besteuern, zahlt je nach Kanton Grundstückgewinnsteuern, Liegenschafts- oder Handänderungssteuern, Erbschaftssteuern, Mehrwertbeiträge und so weiter. Im Gegenzug ermöglicht es gewisse Steueroptimierungen, von denen vor allem Vermögende profitieren. Es ist kein gutes System, doch es ist bis jetzt mehrheitsfähig. Mit dem System der Eigenmietwertbesteuerung begünstigt man diejenigen, die aus taktischen Gründen die Hypothek hoch lassen und auf der anderen Seite auch Kapital haben, mit dem sie arbeiten. Wie auch immer: Ich kann auch mit dem jetzigen System weiterleben.

Die Initianten führen ja an, ihre Initiative leiste einen Beitrag zur Senkung der hohen Schweizer Hypothekarverschuldung. Wird das funktionieren?

Germann: Ja, das wird funktionieren. In welchem Umfang wissen wir nicht. Ich möchte daran erinnern, dass schon Bundesrat Villiger gesagt hat, dass vom jetzigen System vor allem die sehr Reichen profitieren, die mit ihrer Hypothek spielen können und so die Steuern optimieren. Das ist nicht verboten, man darf den Spielraum ausreizen. Aber ich finde es falsch, dass der Staat einen Anreiz schafft, um hoch verschuldet zu bleiben. Das Gegenteil sollte der Fall sein: Der Staat sollte den Anreiz schaffen, dass man das Wohneigentum bis zur Pensionierung möglichst weitgehend abbezahlt. Darum ist dies ein idealer Zeitpunkt für einen Systemwechsel. Fehr: Die Wirkung der Initiative wäre bescheiden, weil sie nur einen kleinen Teil der Hauseigentümer betrifft und weil man ihnen auch noch die Wahl lässt. Will man die grosse Hypothekarbelastung wirklich senken, so muss man den Eigenmietwert mit den Schuldzinsen abschaffen.

Sie sehen die Gefahr nicht, dass viele ältere Menschen aufgrund des Eigenmietwerts ihre Häuser verlieren?

Fehr: Die pensionierten Hausbesitzer sind sicher nicht schlechter gestellt als die anderen 88 Prozent der Bevölkerung. Ich würde sogar sagen, wenn man den Titel der Initiative «Sicheres Wohnen im Alter» beim Wort nimmt, dass diese Gruppe am sichersten lebt. Sie ist nicht wie die Mieter davon bedroht, dass einem der Vermieter kündigt; sie ist nicht davon bedroht, dass die Miete so erhöht wird, dass man sie nicht mehr bezahlen kann, und sie ist auch nicht davon bedroht, dass sie steigende Hypothekarzinsen nicht mehr bedienen kann, weil sie die Schulden ja schon zum grössten Teil abbezahlt hat. Man will also genau die Gruppe bevorteilen, die bezüglich der Wohnsituation schon jetzt am meisten Sicherheit hat.

Teilen Sie diese Einschätzung der Vermögenslage der Gruppe, die durch die Initiative bevorteilt werden soll?

Germann: Im Einzelfall schon, aber längst nicht jeder Wohneigentümer ist ein Grossverdiener. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Jemand wohnt in einer ländlichen Liegenschaft, zum Beispiel einem alten Bauernhaus, vielleicht noch mit viel Umschwung. Die Person lebt auf dem AHV-Minimum, hat keine Pensionskasse. Auch das gibt es. Dann kommt der Staat und rechnet einen hohen Eigenmietwert auf die bescheidene Rente. In solchen Fällen ist das System extrem störend und ungerecht. Hans-Jürg Fehr geht davon aus, dass man mit 65 gleich viel verdient, wie wenn man berufstätig ist. Das trifft nur bei wenigen Privilegierten zu. Fehr: Das habe ich nicht gesagt. Aber ihr behauptet, man habe überhaupt kein Einkommen mehr.

Wieso soll der Systemwechsel bei Eintritt ins Pensionsalter passieren?

Germann: Für mich gilt der Eintritt ins Pensionsalter als erheblicher Einkommensschnitt, und deshalb ist zu diesem Zeitpunkt auch ein Systemwechsel gerechtfertigt. Wer selbst genutztes Wohneigentum hat, muss es unterhalten können. Wenn man die Schulden noch nicht abbezahlt hat, muss man die Zinsen noch bezahlen können. Beim jetzigen Tiefzinsniveau ist das kein Problem, aber das kann sich rasch wieder ändern. Fehr: Hannes Germann, kennst du einen Vermieter, der einem Mieter bei dessen Eintritt ins AHV-Alter die Miete um 20 bis 30 Prozent senkt, weil die Rente kleiner ist als der vorherige Lohn? Ich nicht. Der Mieter hat diese Einkommenseinbusse auch und bezahlt trotzdem genau gleich viel Miete. Es ist genau diese Ungleichbehandlung, die mich dazu bewogen hat, gegen diese Initiative zu sein. Das verletzt unsere Verfassung.

Das ist doch ein gutes Schlusswort, Herr Germann, warum bleiben Sie bei Ihrer Position?

Germann: Als Mieter ist man in solchen Situationen zumindest deutlich flexibler. Aber die Vorlage tangiert ja die Mieter gar nicht. Es geht um eine überfällige Korrektur beim Eigenmietwertsystem. Das neue Wahlsystem bietet einen Anreiz für möglichst schuldenfreies Wohnen im Alter. Es soll älteren Leuten Sicherheit geben und Notverkäufe vorbeugen. Und das finde ich das Wichtigste.

Hans-Jürg Fehr (l.) sieht in der Initiative eine Ungerechtigkeit
gegenüber den Mietern, Hannes Germann findet die Besteuerung
des Eigenmietwerts gerade bei den Pensionierten besonders
stossend.
Bild Bruno Bühler