[Schaffhauser Nachrichten] Wider die Hochpreisinsel Schweiz

Die Fair-Preis-Initiative will dem «Schweiz-Zuschlag» und damit der Hochpreisinsel Schweiz den Garaus machen. Dem Bundesrat geht die Initiative aber zu weit, wie er in seiner Botschaft zum indirekten Gegenvorschlag ausführt.

Von Reto Zanettin und Clarissa Rohrbach

Die Initianten der Fair-Preis-Initiative wollen gegen die Hochpreisinsel Schweiz vorgehen. BILD KEY

Schweizer Detailhändler können ein Lied davon singen: Wenn sie Produkte aus dem Ausland importieren, liegt der Einkaufspreis manchmal bereits über dem Verkaufspreis im Nachbarland. «Schweiz-Zuschlag» nennt sich dies. Für Konsumentinnen und Konsumenten bedeuten die Aufschläge eine Preis­differenz zwischen In- und Ausland von bis zu 60 Prozent. Sie ist einer der Gründe, warum viele Schweizer ennet der Grenze einkaufen.

Die Fair-Preis-Initiative will die gesetzlichen Grundlagen schaffen, um die häufig praktizierte internationale Preisdiskriminierung von Nachfragern aus der Schweiz zu bekämpfen. Verlangt werden Massnahmen gegen unverhältnismässig hohe Preise und die Kaufkraftabschöpfung durch in- und ausländische Unternehmen. Dem Bundesrat geht die Initiative allerdings zu weit. Deshalb stellt er der Initiative einen indirekten Gegenvorschlag vis-à-vis.

Abschottung der Schweiz verhindern

Der indirekte Gegenvorschlag gehe zwar weniger weit als die Initiative, anerkenne aber den Handlungsbedarf und nehme das Anliegen auf. Dieses besteht in der Beschaffungsfreiheit von Schweizer Unternehmen im Ausland. Verhindern respektive Aufbrechen will der Bundesrat genauso wie die Initianten die Abschottung des Schweizer Marktes, die dem «Schweiz-Zuschlag» Vorschub leisteten.

Eine solche Abschottung gehe von marktmächtigen Unternehmen aus. Bei diesen handle es sich um Unternehmen, von denen andere Firmen abhängig seien, weil es keine ausreichende oder zumutbare alternativen Anbieter gibt, und die auf Schweizer Vertriebswege mit entsprechend hohen Preisen gezwungen werden. «Eine Abhängigkeit kann beispielsweise gegeben sein, wenn spezifische, auf ein Unternehmen ausgerichtete Investitionen getätigt worden sind und bei Beendigung der Geschäftsbeziehungen die Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit gefährdet würde», führt der Bundesrat in seiner Botschaft die Einführung des Konzepts der relativen Marktmacht aus, das neu ins Gesetz aufgenommen werden soll. In dieser oder ähnlicher Weise abhängige Unternehmen sollen künftig im Ausland zu den dort üblichen Preisen und Geschäftsbedingungen Güter und Dienstleistungen einkaufen können. So könne der «Schweiz-Zuschlag» bekämpft werden – den Zuschlag auf Importgüterpreise also, welcher die Kaufkraft der Schweizer Nachfrager abschöpfen.

Allerdings möchte der Bundesrat seine Massnahmen gegen die Abschottung des Schweizer Marktes auf grenzüberschreitende Beziehungen von Unternehmen beschränken. Die Initianten wollen hingegen auch binnenwirtschaftliche Sachverhalte regeln.

Initianten wollen kein Geoblocking

In einem weiteren Punkt geht die Initiative dem Bundesrat über das Notwendige hinaus, und zwar im Bereich Geoblocking, das der Gegenvorschlag zur Gänze ausblendet. Dabei geht es um eine Internet-Technologie, mit der Online-Inhalte regional gesperrt werden können. Beispielsweise kann ein Online-Händler einzelne Angebote vom Kauf durch Schweizerinnen und Schweizer ausnehmen. Damit werden die Konsumenten gezwungen, die Güter zu höheren Preisen in der Schweiz zu ­er- werben.

Der Verzicht auf ein Verbot des Geoblockings im Gegenvorschlag ist für das Initiativkomitee und Ständerat Hannes Germann (SVP/SH) enttäuschend. «Der Bundesrat schiesst so am Ziel vorbei.» Es sei eine Realität, dass der Onlinehandel zunehme, deswegen habe die EU bereits das private Geoblocking verboten. Viele KMU würden ihre Waren im Internet bestellen, es sei erstaunlich, dass zu ihrem Schutz nichts unternommen wird. Dass die innerschweizerischen Geschäftsbeziehungen von den neuen Regeln nicht betroffen sind, kann Germann akzeptieren. Dafür lasse sich aus Erfahrung im Parlament keine Mehrheit erreichen.

Nicht die Kaufkraft ausnützen

Positiv sei, dass der Bundesrat den Handlungsbedarf sehe und den Gegenvorschlag unterbreitet habe. «Aber es braucht immer noch die Initiative, um Druck zu machen», meint Germann. Vor allem in einer Grenzregion wie Schaffhausen sei es wichtig, die Kette der hohen Preise zu durchbrechen. «Unsere Detaillisten sind die Leidtragenden, wenn die Preise ennet der Grenze viel tiefer sind.» Ein «Schweiz-Zuschlag» sei wegen der höheren Kaufkraft gerechtfertigt, aber diese werden allzu oft schamlos ausgenützt. Germann ist der Meinung, dass ein griffiger Gegenvorschlag besser als gar nichts ist.

Direkte Sanktionen zur Durchsetzung der neuen Regeln sind weder in der Initiative noch im indirekten Gegenvorschlag vorgesehen. Von Preisdiskriminierung betroffene Unternehmen könnten sich nicht auf das Einschreiten der Wettbewerbskommission verlassen. Sie müssten ihre Ansprüche in erster Linie auf zivilrechtlichem Weg durchsetzen, was vor allem ausserhalb des Europäischen Binnenmarktes und des Europäischen Wirtschaftsraumes problematisch sein dürfte.

Die Volksinitiative kommt gemäss René Lenzin, stellvertretender Leiter Kommunikation bei der Bundeskanzlei, spätestens Ende 2022 zur Abstimmung. Als frühester Termin kommt eine Abstimmung im Februar 2020 infrage. Doch dieser sei, so Lenzin, «sehr theoretisch und nicht realistisch». Lehnen Volk und Stände die Fair-Preis-Initiative ab, so tritt der indirekte Gegenvorschlag in Kraft. Gegen diesen kann dann ein Referendum ergriffen werden. Kommt es zustande, wird das Volk wiederum das letzte Wort haben.

Bundesrat: Nur geringe Wirksamkeit von Vorschlägen gegen Einkaufstourismus

Bern. Der Einkaufstourismus ist ins­besondere für die Grenzregionen ein Problem. Das sieht auch der Bundesrat so. In seinem am Mittwoch veröffentlichten Bericht analysiert er die Situation sowie verschiedene Lösungsansätze. Die Landesregierung erfüllt den Auftrag, den ihm die Finanzkommission des Nationalrates mit einem Postulat im Jahr 2017 erteilte.

Das durch die Stärke des Frankens gegenüber dem Euro angekurbelte Einkaufen jenseits der Schweizer Grenze brächte hierzulande Ladenflächen und Arbeitsplätze ebenso zum Verschwinden, wie es die Mehrwertsteuereinnahmen des Bundes verringere, heisst es im Postulat. In seinem Bericht führt der Bundesrat in erster Linie die Hochpreisinsel Schweiz als Grund für den Einkaufstourismus an. Aber auch der Franken-Euro-Kurs, die Rückerstattung der ausländischen Mehrwertsteuer sowie die Wertfreigrenze für Einfuhren förderten den Einkaufstourismus, der je nach Studie ein Volumen von zwischen vier und elf Milliarden Schweizer Franken belaufe. Angesichts dieses hohen Volumens diskutiert der Bundesrat eine Reihe von Massnahmen gegen den Einkaufstourismus.

Wohl könnte mit einigen Vorschlägen die Steuergleichbehandlung erhöht werden. Aber: «Der Bundesrat kommt aufgrund ihrer geringen Wirkung (…) zum Schluss, dass sie nicht erforderlich und auch nicht zielführend sind.» Sollte das Parlament aber dennoch Massnahmen an der Grenze umsetzen wollen, so «wäre höchstens eine bedingte Senkung der Wertfreigrenze» realisierbar. (rza)

«Lieber ein griffiger Gegenvorschlag als gar nichts.» (Hannes Germann Ständerat)

 

Schaffhauser sind skeptisch

Für die Nationalrätin Martina Munz (SP/SH) geht der indirekte Gegenvorschlag zu wenig weit. «Diese Massnahmen sind vor allem für eine Grenzregion wie unsere absolut ungenügend.» Mit dem Gegenvorschlag würden nur wenige Unternehmen eingeschränkt. «Die Bevölkerung und das Gewerbe müssen den Preis für eine wenig griffige Lösung bezahlen.» Für die Detaillisten würde sich wenig verändern, den Einkaufstourismus könne man so nicht eindämmen. Vor allem, dass der Bundesrat auf ein Geoblocking verzichtet, geht laut Munz nicht an. «Diese Marktabschottung ist unzulässig, Unternehmen verdienen sich damit eine goldene Nase.» Deswegen unterstützt Munz die Fair-Preis-Initiative: Diese würde die Wertschöpfung in der Schweiz und die Kaufkraft der Bürger stärken. Auch Ständerat Thomas Minder (parteilos, SH) ist nicht zufrieden mit dem Gegenvorschlag. Generalimporteure würden viel in den Schweizer Markt investieren. «Logischerweise wollen diese nicht, dass ihre Geschäftspartner direkt im Ausland einkaufen», sagt Minder. Grossverteiler hätten bereits die Macht, auf Importeure Druck auszuüben und tiefere Preise zu verlangen, wie der Fall der Migros zeigt, welche Nivea kürzlich aus dem Sortiment genommen hat. (cla)