[Schaffhauser Nachrichten] Wie die Schaffhauser SVP auf dem Weg in den Bundesrat schon einmal gescheitert ist

Wird die Schaffhauser Finanz­direktorin Cornelia Stamm Hurter für die SVP ins Rennen um den frei werdenden Sitz im Bundesrat gehen? Schaffhauser haben bittere Erfahrungen im Kampf ums Parteiticket gemacht. Allen voran Ständerat Hannes Germann. Eine Chronologie.

Dario Muffler

Der zurücktretende Bundesrat Ueli Maurer (l.) und einer der chancenträchtigsten Kandidaten bei den Bundesratswahlen 2011: Der Schaffhauser Ständerat Hannes Germann im Jahr 2009. BILD KEY
Der zurücktretende Bundesrat Ueli Maurer (l.) und einer der chancenträchtigsten Kandidaten bei den Bundesratswahlen 2011: Der Schaffhauser Ständerat Hannes Germann im Jahr 2009. BILD KEY

In der jüngeren Vergangenheit hatten verschiedene Schaffhauser Politiker Ambitionen auf einen Sitz im Bundesrat. Nie hat es gereicht. Mal war das Scheitern absehbarer, wie bei alt FDP-Regierungsrat Christian Amsler, der parteiintern gegen die nun amtierende Bundesrätin Karin Keller-Sutter angetreten war. Mal poppte ein Schaffhauser Name am Wahltag mehr oder weniger unerwartet unter den Personen auf, die Stimmen von der vereinigten Bundesversammlung erhielten; Thomas Hurter 2015 (siehe Box). Und dann ist da die Geschichte von Ständerat Hannes Germann, dem bis ins linke Lager respektierten, gemässigten und langjährigen Parlamentarier. Er versuchte es dreimal. Als 2011 alles auf ihn ­deutete, schlug ihm SVP-Parteistratege Christoph Blocher die Tür vor der Nase zu.

23 . Oktober: Die Niederlage

Die Schweiz wählt ein neues Parlament. Zu den grossen Verlierern gehört die SVP. Sie büsst schweizweit 2,4 Prozent Wähleranteile ein, was drei Sitzen im Nationalrat entspricht. Im Wahlkampf war die Partei sehr aggressiv aufgetreten. Die Zürcher Linie rund um den 2007 abgewählten Bundesrat und Übervater Christoph Blocher führt aber nicht zum Erfolg. Ungefährdet schafft SVPler Hannes Germann in Schaffhausen derweil die Wiederwahl in den Ständerat. Der parteilose Thomas Minder muss in den zweiten Wahlgang, wo er gegen SP-Kandidat Matthias Freivogel und Christian Heydecker von der FDP obsiegt.

  1. Oktober: Wunden lecken

In der SVP werden die Wunden geleckt. Die wählerstärkste Partei darf sich aber nicht lange mit ihrer Niederlage beschäftigen, denn sie will im Dezember ihren zweiten Bundesratssitz zurückerobern. Eveline Widmer-Schlumpf soll angegriffen werden. Die Bündnerin luchste Blocher 2007 den Sitz ab und wurde aus der SVP ausgeschlossen. In der Folge gründet sich die BDP. Damit der Angriff auf ihren Sitz gelingt, sollten nun moderate SVP-Kräfte in den Vordergrund rücken. Der ebenfalls souverän wiedergewählte Schaffhauser SVP-Nationalrat Thomas Hurter bringt sich und Germann als Möglichkeiten ins Spiel.

  1. Oktober: Moderate im Fokus

Ein SVP-Kronfavorit will sich nicht zur Verfügung stellen: Fraktionspräsident ­Caspar Baader gilt als Hardliner und wäre Blochers Favorit gewesen. Nun richten sich die Blicke endgültig auf Köpfe wie Germann. Für viele Parlamentarier gelten die welschen Nationalräte Jean-François Rime, Guy Parmelin und der Schaffhauser als wählbar, wird in den nationalen Medien herumgereicht.

  1. November: Erste Spekulationen

Die Sonntagspresse vermutet, dass Germann und Parmelin ihre Ambitionen in der kommenden Woche als Erste bekanntmachen wollen.

  1. November: Germann will

Der Schaffhauser Kantonalvorstand beschliesst an diesem Montag, Germann als Kandidaten vorzuschlagen. Kantonalpräsident Werner Bolli sagt dazu gegenüber den SN: «Hannes Germann ist ein ausgezeichneter Ständerat. Er ist gut vernetzt und sitzt in wichtigen Kommissionen.» Germann ist der erste SVPler, der sich aus der Deckung wagt.

  1. November: Schaffhausen freut’s

Die NZZ berichtet, dass Schaffhausen im Bundesratsfieber stecke. In einem Interview mit den SN sagt Germann: «Für die Schweiz steht bei dieser Bundesratswahl viel auf dem Spiel: Es gilt, das Erfolgsmodell der Konkordanz zu retten. Es ist die Basis für unseren hohen Wohlstand und den sozialen Frieden. Darum trete ich an.» Ausserhalb der Partei erhält Germann Zustimmung. Schon zu diesem Zeitpunkt kristallisiert sich heraus, dass die grösste Hürde die eigene Partei sein wird. Chefstratege Christoph Mörgeli sagt den SN, Germann sei nicht der einzige Kandidat. Begeisterung hört sich anders an.

  1. November: Lob von der SP

In der «Sonntags-Zeitung» erhält Ständerat Germann Lob. Er habe beste Wahlchancen, sagt SP-Fraktionschefin Ursula Wyss. «Ich kann mir vorstellen, dass Hannes Germann in der SP viele Sympathien hat, wenn er gegen einen FDP-Kandidaten antritt», sagt sie. Damit erhält Germann als erster SVPler Unterstützung der SP. Das Problem des Lobes ist, dass die SVP so gegen die FDP antreten müsste. Das will sie aber nicht. Und das Angebot der SP forciere die Spaltungstendenzen in der SVP, denn die Parteizentrale um Blocher möchte mit zwei linientreuen Vertretern in der Landesregierung sein, schreibt die «Sonntags-Zeitung». Ein Moderater wie Germann wecke in Herrliberg Argwohn – Germanns Position ist in den Augen der Öffentlichkeit schon weit vor der internen Nomination geschwächt.

  1. November: Blochers Verdikt

Christoph Blocher gibt der «Weltwoche» ein Interview. Darin skizziert er seine Strategie für die Bundesratswahl: Germann soll dabei keine Rolle spielen.

  1. November: Der Wunschkandidat

Die Zürcher Parteileitung nominiert Nationalrat Bruno Zuppiger einstimmig. Die Kantonalpartei bestätigt den Vorschlag tags darauf. Zuppiger gilt als Schwergewicht, politisiert wie Germann moderat, spricht aber im Gegensatz zum Schaffhauser schlecht Französisch.

  1. November: Weitere Konkurrenz

Während die Nachrichtenagentur SDA Germann in einem Text als Pragmatiker beschreibt, wird bekannt, dass neben Zuppiger auch der Zuger Regierungsrat Heinz Tännler ins Rennen steigt. Noch ein Tag bis zur Nominationsversammlung der Partei.

  1. Dezember: Parteileitung obsiegt

Schliesslich ist der Tag der Entscheidung gekommen. Germann sagt: «Ich bin relativ gelöst. Die Spannung wird sicherlich noch steigen. Aber ich kenne ja die Personen, die mir gegenüber sein werden, und sie kennen mich. Ich habe nichts zu verlieren.» Angesprochen auf die Kritik des Zürcher Flügels meint er: «Man weiss von mir, dass ich gegen Druck aus der Parteizentrale mitunter resistent bin. Ich bin auch nicht bereit, mich zu verbiegen. Vielmehr gehe ich geradlinig und aufrecht meinen Weg.» Der 55-jährige Schaffhauser hat in den Augen diverser Fraktionsmitglieder nach wie vor intakte Chancen auf eine Nomination. Denn der Kronfavorit Zuppiger kommt aus demselben Dorf wie SVP-Bundesrat Ueli Maurer. Das sorgt für Kritik. Kaum Chancen werden den beiden Regierungsräten Jakob Stark (Thurgau) und Heinz Tännler (Zug) eingeräumt. Beobachter glauben, dass die Partei ein Zweierticket mit einem Deutschschweizer und einem welschen Kandidaten präsentieren wird. Dabei scheint Rime besser platziert zu sein als Parmelin, der ebenfalls antritt.

Die Fraktion entscheidet sich am Abend für ein Zweierticket. Hannes Germann ist nicht drauf. Ins Rennen um einen Sitz in der Regierung steigen Zuppiger und Rime. Den SN sagt Germann, dass er nicht enttäuscht sei. Seine Kandidatur habe einiges bewegt. «Ich habe mich zu den Grund­sätzen der SVP bekannt, habe aber klar­gemacht, dass ich ein SVPler Schaffhauser Ausprägung bin. Wenn die SVP einen Schaffhauser Kurs fahren würde, hätte sie mehr Wachstumspotenzial.»

  1. Oktober: SVP in der Bredouille

Nachdem die SVP ihre Kandidaten nominiert hat, zeichnet sich ab, dass Widmer-Schlumpf eine Mehrheit der Stimmen auf sich vereinen kann. Die SP-Fraktion und die CVP-Fraktion sprechen sich an diesem Abend für sie aus. BDP und Grüne hatten ihre Unterstützung schon zugesichert.

  1. Dezember: Der Kronprinz stolpert

Die «Weltwoche» deckt auf, dass Zuppiger sich am Erbe einer früheren Angestellten bereichert haben soll. Gemäss dem Bericht geht es um rund 250 000 Franken, die ­Zuppiger angeblich abgezügelt habe. Die Schlagzeile verbreitet sich wie ein Lauffeuer und stürzt die SVP in eine Krise.

  1. Dezember: Germann will nicht mehr

Bruno Zuppiger nimmt sich aus dem Rennen. Er ziehe sich zurück, um seiner Partei nicht zu schaden, sagt Zuppiger am Donnerstagnachmittag vor den Medien in Bern. Fraktionschef Baader sagt, die Parteispitze habe die Situation wahrscheinlich falsch eingeschätzt. Und Germann? Er spricht von einem gravierenden Ereignis. Doch nochmals zur Verfügung stellen will er sich nicht. «Ich wollte nicht zum Spielball der Verantwortlichen für das Zuppiger-Fiasko und der anderen Parteien werden. Dafür habe ich zu viel zu verlieren», sagt der Schaffhauser gegenüber den SN. Stattdessen steigt der Thurgauer Nationalrat Hansjörg Walter ins Rennen für die SVP.

  1. Dezember: SVP-Angriff scheitert

Der Tag der Bundesratswahlen. Es kommt, wie es nach den letzten Tagen kommen musste. Die SVP unterliegt mit ihrem Last-Minute-Kandidaten und stellt weiterhin nur einen Bundesrat.

Oktober 2022: Gelöster Germann

Heute sagt Germann, er blicke gelassen auf diese Episode zurück. «Ich hätte es wirklich gerne gemacht – vor allem auch für Schaffhausen», sagt er. «Gleichzeitig bin ich erleichtert darüber, dass dieser Kelch an mir vorbeigegangen ist, wenn ich sehe, wie schnell gewisse Bundesräte altern.» Er habe auch gewaltigen Respekt vor dieser Aufgabe. Schon der Weg zur Nomination durch die Partei sei hart. Entscheidend sei nicht unbedingt, ob man seine Ambitionen als Erster oder Zweiter melde. Es gehe um viele Faktoren wie den Herkunftskanton und Absichten der Parteileitung. Sicher sei: «Man muss sich ein dickes Fell zulegen», sagt er. Das wird auch dieses Mal so sein.

Bundesratswahl 2015 mit zwei Schaffhausern

Nachdem Hannes ­Germann 2011 von der Schaffhauser Kantonalpartei nominiert worden war, stieg 2015 nach dem Rücktritt von Eveline Widmer-Schlumpf neben ihm auch Nationalrat Thomas Hurter ins ­Rennen. Die Parteileitung entschied sich aber für den Zuger Nationalrat Thomas Aeschi als Deutschschweizer Kandidaten, daneben standen Norman Gobbi (TI) und Guy Parmelin (VD) zur Auswahl. Gegen den Vorschlag von Hardliner Aeschi gab es Proteste aus anderen Parteien. Deshalb erhielt Hurter im ersten Wahlgang 22 Stimmen. Er hatte ­zuvor offen gelassen, ob er eine Wahl ablehnen würde, obwohl er nicht offiziell nominiert wurde.