Schaffhauser Nachrichten: Zeit der Koalitionen

von Norbert Neiniger

Es war ein Anblick, der des Wählers Herz erfreute: Fast alle der 21 Kandidatinnen und Kandidaten für den Nationalrat und die 5 Ständeratskandidaten hatten sich versammelt, um untereinander zu debattieren und um sich den Wählerinnen und Wählern zu präsentieren. Und zwei Ereignisse waren beim Wahlauftakt im Zunftsaal zun Kaufleuten im Haus der «Schaffhauser Nachrichten» (siehe SN vom 17. August) aussergewöhnlich und für diesen Wahlherbst symptomatisch. Zum Inhaltlichen: Es befürwortete kein einziger der fünf Ständeratskandidaten (aus allen Lagern) einen Beitritt zur Europäischen Union; zum Zweiten erhielt das Publikum auch einen Hinweis auf den Stil des anstehenden Wahlkampfs: Der parteilose Thomas Minder weigerte sich, zusammen mit dem freisinnigen Christian Heydecker auf einem Bild (für diese Zeitung) zu posieren.

Nein, der EU-Beitritt ist in diesem Herbst für fast alle, die gewählt werden wollen, kein Thema. Der Freisinn hat sich längst auf den bilateralen Weg begeben, und sogar der Ständeratskandidat der Linken, Matthias Freivogel, befürwortet – anders als sein Parteigenosse und Nationalratskandidat Hans-Jürg Fehr – den Beitritt nicht (mehr). Herbert Bühl (ÖBS) ist wie Minder dagegen, und Hannes Germann von der SVP war es schon immer.

Stolz auf die Errungenschaften des Landes 
Man wundert sich ob der weitgehenden Einmütigkeit in einer Frage, über die seit dem abgelehnten EWR-Beitritt bis vor Kurzem gestritten wurde – und stellt fest: Vor den Wahlen werden – ohne Rücksicht auf das Geschwätz von gestern – Positionen eingenommen, von denen man sich den grössten Erfolg verspricht. Erstaunlich auch, dass eine der Kernpositionen der Schweizerischen Volkspartei Allgemeingut wurde. Und dass diese – wenn wir die Parteiprogramme und Wahlplakate richtig deuten – nicht nur in der Europafrage kopiert wird: Die Liebe zur Schweiz haben auch die anderen entdeckt, man ist allenthalben Stolz auf die Errungenschaften des Landes und will seiner Wirtschaft Sorge tragen. Die Debatten und Duelle haben erst begonnen. Und doch zeichnen sich die weiteren Themen bereits ab: Es geht um den starken Franken und die dadurch gebremste Konjunktur, die Zuwanderung und die Energiepolitik. Und, natürlich, um die Interessenvertretung Schaffhausens in Bern. Während sich der Kampf um die zwei Nationalratssitze vor allem durch die Vielzahl der Bewerberinnen und Bewerber aus dem ganzen politischen Spektrum auszeichnet, ist die Ständeratswahl geprägt von der Tatsache, dass fünf valable Kandidaten den Hut in den Ring geworfen haben, zwei von ihnen – Herbert Bühl und Thomas Minder – traten eher überraschend auf den Plan, und Unternehmer Minder, als Vater der Abzocker-Initiative schweizweit bekannt, startete seinen Wahlkampf spät und ziemlich spektakulär.

Im Schlafwagen fährt diesmal keiner nach Bern 
Ohne die Havarie der japanischen Kernkraftwerke und die dadurch ausgelöste Debatte hätte er nicht kandidiert, erklärt der ehemalige Regierungsrat Bühl. Und Thomas Minder versteht sich als unabhängigen und unermüdlichen Kritiker des politischen Establishments und weiter Teile der Finanzwirtschaft und Grossindustrie. Minder zielt auf die Unzufriedenen, Bühl auf die Grünen aller Prägungen; Matthias Freivogels Schicksal (und Stimmenzahl) hingegen wird davon abhängen, wie weit er dann noch die Linke mobilisieren kann. Die bisherigen Nationalräte Thomas Hurter (SVP) und Hans-Jürg Fehr (SP) und Ständerat Hannes Germann (SVP) starten aufgrund ihres Leistungsausweises aus einer Poleposition, im Schlafwagen aber fährt diesmal keiner nach Bern. Fehr jedenfalls wird noch dem einen oder anderen Nachwuchspolitiker seiner Partei erklären müssen, warum er über das Pensionsalter hinaus im Nationalrat bleiben will. Jetzt erst beginnt die Zeit der Koalitionen und Verbindungen; in den kommenden Wochen wird sich zeigen, welche Päcklein geschnürt bleiben, wer mit wem zusammenspannt und wer wen meidet. Minder hat sich bereits entschieden: Er zielt auf Christian Heydecker, der sich aufgrund seiner Papierform gute Chancen ausrechnet, den Sitz Peter Briners zu halten. Kein Zweifel: Es wird spannend werden in diesem Herbst und – jetzt sind wir wieder beim Stil – auch etwas ruppiger und unerbittlicher her- und zugehen als auch schon.