Tages-Anzeiger: Warum Nordkorea trotz Bundeshaus-Nein von Bern unterstützt wird

Die Bundesversammlung beschloss 2008, die Entwicklungshilfe in Nordkorea sei einzustellen. Doch der Bund hielt sich nicht daran und startete sogar ein neues Projekt.

Von Christian Brönnimann

Kürzlich untersagte der Bundesrat einer Schweizer Firma, eine Seilbahn nach Nordkorea zu liefern. Damit wollte er verhindern, dass Diktator Kim Jong-un bei der Verwirklichung eines Prestigeprojekts – ein Ski-Resort in den nordkoreanischen Bergen – aus der Schweiz Unterstützung erhält. Bei den eigenen Aktivitäten in der totalitären Diktatur ist die Eidgenossenschaft hingegen weniger kritisch. 2008 verlangte das Parlament aus politischen Gründen, die Entwicklungszusammenarbeit mit Nordkorea sei zu stoppen. Auch der Bundesrat sprach sich damals für die entsprechende Motion aus.

Doch statt das Büro in Pyongyang zu schliessen, überführte es die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) von der Abteilung «Regionale Zusammenarbeit» in die Abteilung «Humanitäre Hilfe». Unter dem neuen Label setzte das Büro nicht nur ein Projekt zur landwirtschaftlichen Nutzung von Böden in Hanglagen fort. 2012 rief die Deza auch ein neues Projekt ins Leben, das den Charakter von langfristiger Entwicklungshilfe hat: die Verbesserung der Wasserversorgung in verschiedenen Provinzen des Landes.

Das Budget wächst

Für die beiden Projekte weist das Deza-Büro wachsende Budgets aus. Für die Wasserversorgung war letztes Jahr der Betrag von 450’000  Franken vorgesehen. Heuer sind es 600’000 Franken, und 2014 soll es bereits 1  Million sein. Für das Landwirtschaftsprojekt sind für dieses und nächstes Jahr rund 900’000 Franken budgetiert. Mit rund 4 Millionen Franken fliesst am meisten Geld zudem in ein drittes grösseres Projekt, das berechtigterweise primär als humanitäre Hilfe bezeichnet werden kann: der Lieferung von Milchpulver. Insgesamt sind für die Nordkorea-Hilfe im laufenden Jahr 7,2  Millionen Franken budgetiert – etwas mehr als durchschnittlich in den letzten zehn Jahren.

Das ruft nun die Aussenpolitiker auf den Plan. Er verlange vom Bundesrat Auskunft über die Nordkorea-Hilfe, sagt Hannes Germann (SVP, SH), Präsident der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats. An der nächsten Sitzung setze er das Thema auf die Traktandenliste. «Dass der Auftrag des Parlaments einfach ignoriert wird, geht natürlich nicht», sagt Germann. Entwicklungshilfe als humanitäre Hilfe zu bezeichnen, sei ein Etikettenschwindel und das Engagement in Nordkorea «grundsätzlich problematisch». Denn es könne nicht im Interesse der Schweiz liegen, das Regime zu stärken, zumal es keinen Willen zur Öffnung zeige.

Das Vorgehen des Aussendepartements kritisiert auch Jan Stiefel, Kenner der Entwicklungshilfe-Szene und Herausgeber eines jährlichen Transparenz-Ratings. Zwei der drei aktuellen Nordkorea-Projekte fielen keinesfalls in den Bereich der humanitären Hilfe, sagt er. Denn diese erfüllten ohne akuten Anlass und mit langfristigen Zielen standardmässige Infrastrukturfunktionen, die eigentlich von den örtlichen Behörden übernommen werden müssten. Zudem habe die Schweiz kaum Kontrolle darüber, ob ihr Engagement allen Menschen ohne Diskriminierung zugute komme, was ein Grundsatz der humanitären Hilfe wäre, erklärt Stiefel.

Entscheid von Calmy-Rey

Auf Anfrage betont die Medienstelle des Aussendepartements: «Es wurden und werden keine Projektgelder via Regierungsstellen umgesetzt.» Gleichzeitig räumt sogar die Deza selber im «Mittelfristprogramm Nordkorea 2012–14» ein: «Die Regionen für die Programmaktivitäten (…) sowie die Beneficiaries (Anm.: die Begünstigten) werden weitgehend von der Regierung nach eigenen Prioritäten ausgewählt und bestimmt.»

Den Entscheid, das Engagement in Nordkorea weiterzuführen, fällte Anfang 2010 die damalige Aussenministerin Micheline Calmy-Rey persönlich. Heute begründet ihn das Aussendepartement mit «anhaltenden humanitären Bedürfnissen (u. a. Mangelernährung)». Die Grundversorgung der notleidenden Bevölkerung habe sich seit Mitte der 90er-Jahre – der Zeit der grossen Hungersnot, in der die Deza das Engagement startete – kaum verbessert.

Verständnis für den Entscheid kommt von überraschender Seite: von CVP-Nationalrat Gerhard Pfister, der die Motion zum Entwicklungshilfe-Stopp eingereicht hatte. Eine Nordkorea-Reise habe ihm gezeigt, wie «desaströs» die Lage für die Bevölkerung wirklich sei, sagt Pfister. Natürlich stelle sich die Frage immer noch, ob man mit dem Engagement nicht dem Regime diene, sagt Pfister. Die Alternative, nichts zu tun, sei jedoch noch unbefriedigender.