NZZ: Degressive Steuertarife in die Verfassung schreiben: Initiative von SVP-Ständerat Germann

met. Schon am Tag der Kassierung des degressiven Steuertarifs im Kanton Obwalden durch das Bundesgericht (NZZ 2. 6. 07) hatte die SVP in ihrem Pressedienst angekündigt, sie werde in der Sommersession einen Vorstoss für eine Verfassungsänderung lancieren; dies deshalb, weil sich «das Bundesgericht immer mehr in die Politik einmischt und die Verfassung zunehmend neu auslegt». Am Mittwoch will nun der Schaffhauser SVP-Ständerat Hannes Germann eine parlamentarische Initiative «Wahrung des Steuerwettbewerbs unter den Kantonen» einreichen, die auf der Stufe Verfassung die Zulässigkeit von degressiven Steuertarifen festzuschreiben verlangt. Konkret verlangt der Initiant eine Umschreibung des Grundsatzes der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (Artikel 127): «Dieser erfordert, dass der geschuldete Steuerbetrag mit der Zunahme von Einkommen und Vermögen steigt.» Und Artikel 129 (Steuerharmonisierung) soll mit dem Satz «Die Kantone sind in der Ausgestaltung ihrer Steuertarife frei» ergänzt werden.

Eine politische Frage
Im Gespräch begründete Germann seinen Vorstoss damit, eine so eminent politische Frage wie jene des Verlaufs der Steuerkurven müsse durch den Gesetzgeber und nicht durch die Judikative geregelt werden. Das hat etwas für sich; die verbreitete Rechtsunsicherheit in den Kantonen auf diesem Gebiet – möglicherweise auch nach dem Vorliegen der schriftlichen Urteilsbegründung durch das Bundesgericht – ist ein Problem. So gesehen spricht nicht viel dagegen, dass sich das Parlament mit der Materie auseinandersetzt. Die redaktionelle Unschärfe von Germanns Vorstoss (die Steuertarife, Steuersätze und Steuerfreibeträge sind im geltenden Verfassungsrecht ausdrücklich von der Harmonisierung ausgenommen) braucht dem nicht entgegenzustehen. Zu fragen ist allerdings, ob mit diesem Vorstoss nicht besser bis zur schriftlichen Urteilsbegründung zugewartet worden wäre.

Sorge um Schaffhauser Steuergesetz
Nicht durchwegs solid erscheint die schriftliche Begründung der Initiative. Germann verweist auf das Bundesgerichtsurteil vom 26. Januar 2004 in Sachen staatsrechtliche Beschwerde und Stimmrechtsbeschwerde gegen die im September 2003 vom Schaffhauser Kantonsrat verabschiedete Teilrevision des Steuergesetzes. Diese führte, erstmals in einem Kanton, degressive Steuertarife ein. Die I. Öffentlichrechtliche Abteilung des Bundesgerichts trat auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht ein und wies die Stimmrechtsbeschwerde ab. Es trifft zu, dass das Gericht im Urteil die degressiven Tarife als «Abflachung der Progression» bezeichnete und unter anderem schrieb, die Vorlage des Kantonsrates erscheine «durchaus geeignet, die angestrebte ‹Attraktivierung des Steuerstandortes› und damit eine Erhöhung der Steuereinnahmen sowie eine Senkung des Steuerfusses zu erreichen (. . .)». Diese Erwägungen standen aber ganz klar im Zusammenhang mit der Beurteilung der Beschwerdelegitimation und der Frage der Verletzung des Grundsatzes der Einheit der Materie. Wäre es tatsächlich um die Prüfung einer Frage des materiellen Steuerrechts gegangen, wäre das Geschäft nach dem damals geltenden internen Reglement des Bundesgerichts der II. Öffentlichrechtlichen Abteilung zugewiesen worden. Ihr oblag die Normenkontrolle im Bereich Steuern.

Natürlich treibt Initiant Germann nach dem Bundesgerichtsentscheid zu Obwalden auch die Sorge um die Zukunft des vom Schaffhauser Souverän mit einer Zweidrittelmehrheit angenommenen kantonalen Steuergesetzes um. Ein Erlass übrigens, der vom sozialdemokratischen Finanzdirektor Hermann Keller aufgegleist worden war und den im Parlament auch seine Partei mitgetragen hatte.