[Schaffhauser Nachrichten] Biodiversität: Ständerat bremst

Die kleine Parlamentskammer hat den Gegenvorschlag zur Biodiversitätsinitiative abgelehnt. Der Klettgau spielte in der Diskussion allerdings eine prominente Rolle.

Reto Zanettin

Als Agrarlandschaft im Zeichen der Biodiversität gewürdigt: der Klettgau, die Landschaft des Jahres 2023 (Bild: MELANIE DUCHENE)

BERN. Wer kann schon gegen den Erhalt der Artenvielfalt sein? Eigentlich niemand, auch Bundesräte und Parlamentarier nicht. Und doch: Dass die Biodiversitätsinitiative abgelehnt werde, sei «das vordringlichste Ziel» des Bundesrats, sagte Albert Rösti gestern im Ständerat. Das Votum, das frappieren mag, ist erklärbar: Laut dem Umweltminister lässt die Initiative keine Abwägung zwischen verschiedenen Anliegen zu – zwischen Biodiversität, Lebensmittelherstellung und Energieproduktion. Allerdings ahnt Rösti, dass die Initiative, die er als «sehr extrem» bezeichnet, vor einem Urnengang nur schwer zu bekämpfen sein wird. Eben: «Wer ist schon gegen Artenvielfalt? Man kann eigentlich nicht dagegen sein.» Deshalb aber müsse man der Initiative, wenn man sie verhindern will, etwas entgegenstellen, und zwar: einen Gegenvorschlag, der «nicht so einschränkend ist, wie er teilweise dargestellt wurde».

Mit diesem Gegenvorschlag, nicht aber mit der Initiative, befasste sich die kleine Parlamentskammer am gestrigen Dienstag. Auch der Entwurf der Landesregierung kam mehrheitlich nicht gut an.

Beat Rieder (Die Mitte/VS) etwa bezeichnete den Gegenvorschlag als Regulierungsmonster und lehnte ihn ab. Weder diesen noch die Initiative brauche es, «sondern primär eine exakte Aufnahme und einen effektiven Schutz der bereits vorhandenen Biodiversitätsflächen». Der Hintergrund dazu ist: Ursprünglich wollte der Bundesrat 17 Prozent der Schweizer Landesfläche als Kerngebiete für die Biodiversität festlegen. Der Nationalrat hatte dieses Flächenziel aus der Vorlage gestrichen. Rieder rechnete nun gestützt auf einen Bericht aus der Verwaltung vor, es seien «bereits heute 23,4 Prozent der Landesfläche nachgewiesen, und im Jahr 2030 werden ohne besondere Anstrengungen 28 Prozent erreicht sein». Somit komme die Schweiz schon heute sehr nahe an das Flächenziel des globalen Biodiversitätsrahmenwerks von Kunming-Montreal, das 30 Prozent als Zielgrösse ausgegeben hat.

Auch nicht zufrieden mit der Vorlage war Heidi Z’graggen (Die Mitte/UR). Sie sorgte sich um den Föderalismus: Gemäss Gegenvorschlag werde der Bundesrat Kern- und Vernetzungsgebiete bestimmen, was die Kompetenzen der Kantone einschränke. Auch diese aber sieht Z’graggen am Zug. Wenn sie Regierungsrätin wäre, hätte sie sich «vehement gewehrt und dagegen protestiert», dass der Bund den Kantonen vorschreiben könne, welche Biotope oder Schutzgebiete auszuscheiden seien. Das Ausweisen dieser Gebiete sei eine kantonale Aufgabe. «Es ist einfach, sich hinter dem Bund zu verstecken. Aber das geht doch nicht, es ist doch unser kantonales Gebiet.»

Germann dagegen, Minder dafür

Hannes Germann (SVP/SH) macht sich zwar grosse Sorge um die Artenvielfalt, wie er den SN sagt. «Aber der Gegenvorschlag setzt einseitig auf mehr Fläche, dabei wäre Vernetzung wichtiger. Eine Fläche des Kantons Luzern würde der Produktion entzogen.» Das könne er nicht mittragen. Und: «Für die Auszeichnung des Klettgaus hat es weder die Initiative noch den Gegenvorschlag gebraucht.»

Gleich wie Bundesrat Albert Rösti sieht auch Germann eine schwierige Abwägung: «Einerseits wollen wir eigene Lebensmittel produzieren, andererseits möchten wir die Biodiversität erhalten. Um diesen Zielkonflikt zu lösen, müssen wir weiter am Gegenvorschlag arbeiten.» Das hätte der Ständerat gestern aber ohnehin nicht mehr getan – es ging zunächst nur um das Eintreten auf die Vorlage, über deren genaue Ausgestaltung hätte der Rat separat diskutiert und entschieden.

Ein entschlossenes Votum für den Gegenvorschlag hielt der Schaffhauser Thomas Minder (parteilos): «Die massive Biodiversitätskrise sollte uns alle aufschrecken, denn die Ökosysteme bilden unsere existenzielle Lebensgrundlage, gerade auch für die nahrungsmittelproduzierende Landwirtschaft.» Wie Germann führte Minder den Klettgau an – allerdings als Beispiel dafür, dass ein Nebeneinander von intensiver Landwirtschaft und Naturschutz sowie Biodiversität möglich sei. Das Gebiet östlich von Neuhausen – eine Agrarlandschaft – gelte als ein Leuchtturm in der Biodiversitätsstrategie der Schweiz. In der Tat hat die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz den Klettgau als «eine Agrarlandschaft im Zeichen der Biodiversität» gewürdigt und zur Landschaft des Jahres 2023 erkoren.

Geschäft geht an den Nationalrat

Letztlich sagten Minder und 13 andere Ständeräte Ja und Germann sowie 27 andere Ständeräte Nein zum Gegenvorschlag. Der Entscheid stiess im linken Lager auf Unverständnis. Ständerätin Lisa Mazzone (Grüne/GE), die zuvor im Rat für das Eintreten auf den Gegenvorschlag plädierte und ausserdem der Initiative Chancen einräumte, sagt: «Ein Drittel der Tier- und Pflanzenarten in der Schweiz ist bedroht. Der Ständerat verschliesst die Augen vor dieser Krise der Biodiversität, indem er heute dringend nötige Massnahmen ablehnt.» Indes ist das Geschäft nicht beerdigt. Es geht nun nochmals an den Nationalrat.