Schaffhauser Nachrichten: Dem einmaligen Gütesiegel Schweiz gilt es Sorge zu tragen

Vertrauen in die Demokratie

Von Hannes Germann

Für mich bedeutet «Heimat» Geborgensein. Es ist der Ort, an dem ich mich heimisch und damit eben auch auf Dauer wohl fiihle. Da, wo meine Familie lebt, wo viele meiner Freunde leben. Da, wo Menschen leben, mit denen mich eine gemeinsame Geschichte und -mindestens so wichtig – eine gemeinsame Zukunft verbindet. Mit der Heimat verbinden mich starke Wurzeln. Und doch geht diese Verbundenheit nicht so weit, dass ich mir ein Leben ausserhalb der jetzigen heimatlichen Gefilde nicht vorstellen könnte. Genauso wie es Fremde gibt, die sich bei uns, in unserem Land, heimisch fühlen, für die unser Land zur zweiten oder einfach zur neuen Heimat wird. Und dies, obwohl sie mit ihrem Herzen wohl auch noch mit ihrer ursprünglichen Heimat verbunden bleiben. Das ginge mir mit Sicherheit nicht anders.

Wir dürfen den Begriff Heimat nicht zu starr definieren. Nicht einfach mit dem Namen einer Gemeinde verbinden. Zum Beispiel mit Merishausen, das in meinen Papieren als «Heimatort» aufgeführt ist. Mit der Gemeinde im Randental verbinden mich tatsächlich nicht nur verwandtschaftliche Beziehungen, sondern auch viele Erinnerungen. Und doch befindet sich mein Lebensmittelpunkt längst nicht mehr in Merishausen. Auch nicht in Oberhallau, wo ich während Jahren als Lehrer gewirkt habe. Auch mit der in einer prächtigen Landschaft eingebetteten Klettgauer Gemeinde verbindet mich emotional nach wie vor viel – auch wenn viele Kontakte eingeschlafen sind. Mehr an Bedeutung gewon- nen hat dafür die Wohnortgemeinde. Nicht weil ich ihr als Präsident vorstehe, sondern weil Opfertshofen auch die Heimat meiner Familie ist. Und da, wo meine Familie ist, fühle ich mich geborgen und wohl.

Aber ist Schaffhausen, die Stadt, nicht auch ein Stück Heimat fur mich? Doch, natürlich, immerhin verbringe ich in der Stadt einen wesentlichen Teil meines Lebens. Denn hier arbeite ich seit rund 12 Jahren -sodass auch Schaffhausen ein Stück meiner Heimat ist. Je mehr ich es mir überlege, desto breiter lässt sich der Begriff fassen oder auslegen, desto mehr weitet sich meine Heimat über das ganze Land, über die Schweiz aus. Die Schweiz ist für mich der Inbegriff von Heimat. Es ist das Land, in dem ich mich sicher fühle. Am stärksten rückt das jeweils ins Bewusstsein, wenn ich nach einem Auslandaufenthalt -und mag man sich an einem noch so schönen Ort aufgehalten haben -wieder Schweizer Boden unter den Füssen habe. Womit wir endgültig beim zweiten Begriff, der «Schweiz», gelandet waren. Der Name unseres Landes weckt ein nach breiteres Spektrum als der Begriff Heimat. Der Gedanke an die Schweiz erzeugt unweigerlich eine ganze Reihe von Gefühlen, aber auch von ganz einfachen Dingen, die eher klischeehaft sind: Schweizer Berge, Militärsackmesser, Fahnenschwinger, Käse und vieles mehr.

Doch der Begriff Schweiz war und ist immer nach ein Markenzeichen fiir Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Qualität. Wie unendlich stolz waren wir doch bereits im Kindesalter, wenn wir auf einem Taschenmesser oder sonst einem Gebrauchsgegenstand das Label «Made in Switzerland» entdeckten! Oder wenn es uns gelang, von stationierten Schweizer Soldaten ein Paket der begehrten Biscuits zu erbetteln. Ja, Anfang der sechziger Jahre konnte man sich noch an einfachen Dingen erfreuen. Aber beide, sowohl Milizarmee als auch das zugehörige Taschenmesser, waren wichtige Symbole, mit denen wir uns identifizieren konnten.

Und heute, rund vierzig Jahre später? Ist da alles so anders geworden ? Nein, natürlich nicht alles. Aber einiges hat sich schon geändert. So wäre es wohl in den Jahrzehnten unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg nicht denkbar gewesen, die Existenz der eigenen Armee, unserer Milizarmee, in Frage zu stellen. Doch Ende der achtziger Jahre – und auch heute noch – war das möglich. Ist das ein Zeichen der Schwäche? Nein, im Gegenteil.

Eine direkte Demokratie -und auch dafür gilt die Schweiz im internationalen Umfeld als Inbegriff -lebt geradezu davon, dass das Volk mitgestaltet und auch Mitverantwortung übernimmt. Und für die Politiker ist es ein Zeichen der Grösse, indem man uber den Weg der ausgebauten Volksrechte signalisiert: «Wir vertrauen unserem Volk.» Welches andere Land auf der Welt kann dem Volk diese Art von Mitgestaltung bieten?

Doch es gibt auch Kräfte in diesem Land, die Mühe bekunden mit so viel Basisdemokratie. Dann ist rasch einmal die Rede von «Verwesentlichung» der Demokratie (gemeint ist aber eigentlich eine schrittweise Entmündigung des Bürgers). Darum Vorsicht: Solange das Volk den Staat mitgestaltet oder mitgestalten kann, tragt es ihn auch mit. Das ist eine ganz wesentliche Stärke, die man nicht mit dem oft gehörten Verweis auf die Notwendigkeit von rascheren Entscheidungswegen preisgeben sollte. Denn damit wurde die Schweiz ein Stück Identität preisgeben, etwas, wofür wir rund um den Globus anerkannt und worum wir manchmal sogar beneidet werden.

Die direkte Demokratie hat uns auch eine fast schon unglaublich lange Friedensperiode eingebracht. Denn das Volk mit seinem ausgeprägten Rechtsbewusstsein ist ein Garant dafür, dass extremistische Strömungen -in welche Richtung auch immer -durch Gegenbewegungen rasch aufgefangen werden. Die Stabilität ist nebst den bereits erwähnten Begriffen Qualität und Zuverlässigkeit ein wichtiges Gütesiegel der Marke Schweiz. Diesem Gütesiegel gilt es Sorge zu tragen, dafür lohnt es sich zu kämpfen.