[Schaffhauser Nachrichten] «Der Influencer ist der neue Marlboro Man»

Die Initianten wollen verhindern, dass Jugendliche mit dem Rauchen beginnen. Die Gegner sehen die Wirtschaftsfreiheit in Gefahr. Ständerat Hannes Germann (SVP) und Nationalrätin Martina Munz (SP) im Streitgespräch über die ­Tabakwerbeverbots-Initiative.

Im Gespräch mit: Martina Munz und Hannes Germann

Rico Steinemann

Martina Munz und Hannes Germann während der lebhaften Debatte über das Tabakwerbeverbot. Die erfahrenen Politiker schenkten sich nichts. BILD MELANIE DUCHENE
Martina Munz und Hannes Germann während der lebhaften Debatte über das Tabakwerbeverbot. Die erfahrenen Politiker schenkten sich nichts. BILD MELANIE DUCHENE

Die beiden kennen sich schon lange. Nationalrätin Martina Munz und Ständerat Hannes Germann. Ihre Partei ist die SP, seine die SVP. Entsprechend munter und stellenweise energisch verlief das Streitgespräch über die Volksinitiative zum Tabakwerbeverbot. Munz stellt sich klar hinter die Volksinitiative, Germann plädiert für Wirtschaftsfreiheit, kann aber mit dem indirekten Gegenvorschlag leben.

Frau Munz, Herr Germann, wann haben Sie das letzte Mal eine Zigarette geraucht?

Martina Munz: Ich rauche fast jedes Jahr in den Sportferien eine Zigarette.

In den Sportferien?

Munz: (lacht) Ja, wenn man draussen sitzt, es kalt ist und man trinkt noch etwas, dann kommt es vor, dass ich mir eine Zigarette anzünde. Mehr als zwei pro Jahr sind es aber nie.

Hannes Germann: Ich mag mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal eine Zigarette geraucht habe. Allenfalls mal eine ­Zigarre. Aber auch das ist lange her. Ich vertrage es einfach nicht. Ich erinnere mich, wie früher in meinen ersten Jahren im ­Parlament in den Kommissionen noch geraucht wurde. Dort, wo jetzt unsere Abstimmungsanlage implementiert ist, war früher ein Aschenbecher.

Die Initiative will Tabakwerbung für ­Kinder und Jugendliche verbieten. Mit dem Ziel, dass diese gar nicht erst zum Rauchen verleitet werden können. Hinter der Initiative stehen Ärzteschaft, Lehrerverband und Organisationen wie die Krebs- und Lungenliga. Wie schwierig ist es, sich dagegen auszusprechen, dass Jugendliche vor dem Rauchen ­bewahrt werden sollen, Herr Germann?

Germann: Es ist sehr schwierig. Sie haben eine Reihe von Organisationen aufgezählt, bei denen es in der Natur der Sache liegt, dass sie Ja zur Initiative sagen. Aber der Bundesrat will Kinder und Jugendliche auch schützen. Und er sagt Nein. Das Parlament ist dem Bundesrat insofern gefolgt, dass es auch Nein sagt, aber einen indirekten Gegenvorschlag macht, mit weitreichenden Verboten. Man trifft ja heute bereits kaum noch Werbung an im Alltag. Und man wird sie künftig praktisch nirgends mehr antreffen. Auch mit dem indirekten Gegenvorschlag. Dieser lässt wenigstens noch einen gewissen Spielraum offen. Wenn man den indirekten Gegenvorschlag nicht kennt, kann ich es den Initianten nicht verübeln, dass sie an ihrem Vorschlag festhalten.

Munz: Darf ich darauf eine Antwort geben?

Bitte schön.

Munz: Bis 2014 war der Tabakkonsum im Lebensmittelgesetz geregelt. Dann hat man doch noch erkannt, dass Tabak ein Sucht-, und kein Lebensmittel ist.

Germann: Ein Genussmittel.

Munz: Als man Tabak aus dem Lebensmittelgesetz herausnahm, kam der Bundesrat mit einem guten und scharfen Gesetz. Das Parlament versenkte es. Es blieb dem Bundesrat nichts mehr anderes übrig, als ein weichgespültes Gesetz zu formulieren. Und hinter diesem muss er jetzt stehen. Aber das ursprüngliche Gesetz von 2014 war ein gutes, das Tabakwerbung verboten hätte.

Germann: Ja, aber das kennt doch heute kein Mensch mehr.

Munz: Man muss einfach sehen, dass die Sensibilität gegenüber Tabak im Parlament nicht vorhanden ist. Wir sind international an letzter Stelle. Die WHO-Vereinbarung zur Eindämmung des Tabakgebrauchs haben 179 Länder ratifiziert. Und die Schweiz kann es wegen der Tabakwerbung nicht ­ratifizieren. Auch mit dem neuen Tabakproduktegesetz, das der Initiative als indirekter Gegenvorschlag gegenübergestellt wird, geht das nicht. Und wenn Sie sagen, man sehe fast nirgends mehr Werbung, dann stimmt das einfach nicht. Studien zeigen, dass Jugendliche dort, wo sie unterwegs sind, im Internet, an Kiosken und so weiter, 68 Mal täglich Werbung sehen.

Germann: Mit diesen Zahlen kann man doch nichts anfangen. Seien wir ehrlich: Wie wollen Sie denn weltweit das Internet kontrollieren? Da streut man doch den Leuten Sand in die Augen, was man mit einem fast totalen Werbeverbot in unserem Land erreichen soll. Ich frage mich, wie das gehen soll? Bei vielen wird zu Hause geraucht, die Jungen sind in den sozialen Medien, ­sehen dort ihr Idol rauchen – das beeinflusst sie.

Die Initiative will genau das verhindern. Die Initianten monieren, dass der ­indirekte Gegenvorschlag genau dort die Werbung weiterhin erlaube, wo sie eben die Jugendlichen sehen.

Germann: Junge möchten Dinge ausprobieren, die verboten sind. Das war bei uns früher doch genauso. Was nicht erlaubt ist, war besonders spannend. Später kommt noch die Gruppendynamik dazu, man will zum coolen Kollegenkreis gehören. Tabak ist und bleibt ein Genussmittel. Ich glaube, man geht hier von einem Grundlagenirrtum aus, wenn man das Gefühl hat, man treibe die Jungen mit Werbung zum Rauchen. Das belegen auch Zahlen aus dem Ausland. Die Zahl der Rauchenden nimmt überall leicht ab. Ob es ein Tabakwerbeverbot gibt oder nicht, spielt keine Rolle. Ich will das Rauchen nicht verharmlosen. Aber wir verschärfen die Einschränkung der Tabakwerbung auch mit dem indirekten Gegenvorschlag massiv.

Ihnen geht dieser zu wenig weit, Frau Munz?

Munz: Man muss wissen, dass Nikotin abhängig macht. Es ist ein Suchtmittel. Entweder man schafft es, Raucher als Jugendliche anzufixen, oder man schafft es nicht mehr. Darum konzentriert sich die Werbung auf diese Altersgruppe, sie sind die zukünftigen Kundinnen und Kunden der Tabakbranche. Am Open Air Frauenfeld hat Japan Tobacco International so-gar eine eigene Bühne. Wie gesagt: Der Schweiz fehlt wirklich die Sensibilität bei diesem Thema. Sie fehlt so sehr, dass wir sogar an der Weltausstellung 2020 in Dubai den Schweizer Pavillon von Philipp Morris sponsern lassen wollten. Erst als die WHO intervenierte und sagte, dass es eine Vereinbarung mit der Weltausstellung gibt und Tabakwerbung nicht erlaubt sei, kam Bewegung in die Sache. Tabak sorgt für grosses Leid, ist verantwortlich für viele Krankheiten und viele unnötige Todesfälle.

Germann: Wir sprechen über die Werbung. Das Sponsoring von internationalen Grossanlässen ist im indirekten Gegenvorschlag verboten. Auf Sportplätzen, an öffentlichen Gebäuden, in Verkehrsmitteln, im Kino, Plakate – alles verboten. Da geht die Initiative sogar weniger weit. Sie formuliert es mit «verboten, wenn Minderjährige erreicht werden». Das ist einfach ein Gummibegriff. Der Gegenvorschlag geht schon sehr weit, und ich finde, dass er eine Chance verdient hat. Kommt die Initiative durch, dann muss der Gesetzgeber halt nochmals über die Bücher und wir warten nochmals drei oder vier Jahre, bis etwas passiert. Das wäre schade.

Frau Munz, liegt nicht ein Problem der ­Initiative genau in der etwas schwammigen Formulierung «verboten, wenn Minderjährige erreicht werden»?

Munz: Absolut nicht. Ginge das Tabakgesetz wirklich so weit, wie Hannes Germann sagt, könnten wir problemlos die WHO-Vereinbarung unterschreiben.

Germann: Ich zitiere bloss das Abstimmungsbüchlein.

Munz: Wo werden Jugendliche erreicht? An einem Openair wie in Frauenfeld. Im Internet. Influencer werden von der Tabakindustrie gesponsert, das ist ein grosses Problem. Die Initiative wird wohl auch deswegen durchkommen, weil die Bevölkerung einsieht, dass die ganze Arbeit der Eltern, die Prävention der Lehrerschaft, die 1,2 Milliarden Franken des ­Bundes für Prävention durch diese gezielte Werbung zunichte gemacht wird. Jugendliche werden durch Werbung erreicht und verführt. Der Influencer ist der neue Marlboro Man. Sie machen schöne Wolken mit ihren E-Zigaretten und dann steht da sogar noch, dass die E-Zigaretten keine Giftstoffe enthalten. Aber sie machen süchtig.

Germann: Aber sie enthalten keinen Teer mehr. Das ist immerhin etwas besser. Aber ich will gar nicht über die Schädlichkeit diskutieren. Das führt auch zu nichts. Die entscheidende Frage dreht sich einzig und allein um die Werbung. Erreichen wir eine Verbesserung mit einem praktisch totalen Werbeverbot? Hinter dem übrigens diejenigen am vehementesten stehen, die im Parlament das Kiffen verteidigen und die Legalisierung toll finden. Etwas Verlogeneres habe ich noch selten erlebt. Ich bin für einen starken Jugendschutz, der vor Ort durchgesetzt werden soll.

Munz: Also, wir sind beide für die Prävention. Wir können gerne miteinander über gute Prävention reden. Aber dann müssen wir zuerst die Werbung verbieten, die Jugendliche gezielt verführt.

Germann: Das geschieht doch mit dem Gegenvorschlag!

Munz: Nein. Der geht nicht weit genug. 68 Mal sieht ein Jugendlicher jeden Tag Zigarettenwerbung.

Germann: Ach, nun hören Sie doch endlich mit diesem Blödsinn auf! Das können Sie nicht beweisen und ich kann es nicht dementieren.

Munz: Das sage nicht ich, sondern das sagen Studien.

Germann: Und die nächste Studie sagt, dass Jugendliche rauchen, weil sie es wollen. 68 Mal? Herr Steinemann, Sie haben junge Schülerinnen in den SN befragt. Das fand ich super.

Eine repräsentative Umfrage war dieses Gespräch mit einigen Kantischülerinnen- und schülern natürlich nicht.

Germann: Nein, es war aber bezeichnend, dass alle unisono sagten, dass sie von ihrem Umfeld beeinflusst werden.

Herr Germann, Werbung erzielt eine ­Wirkung. Besonders bei jungen Menschen. Das können Sie nicht abstreiten.

Germann: Ich gebe ja zu, dass Werbung suggestiv ist. Aber ich behaupte, wenn mein Star auf der Bühne steht und genüsslich eine raucht oder ein Influencer tut das auf Ins­tagram, dann ist das einfach ungleich wirksamer als ein Plakat unter vielen am Kiosk.

Munz: Es darf aber nicht sein, dass die ­Influencer dafür gesponsert werden! Herr Germann, ich will noch auf Ihren Vorwurf reagieren.

Welchen Vorwurf?

Munz: Herr Germann, Sie sagten, dass wir das Kiffen hochjubeln. Wir finden, dass Kiffen entkriminalisiert werden soll. Und wenn Sie schon die Verlogenheit des Par­laments ansprechen …

Germann: (unterbricht) Ich habe gewisse Leute gemeint, Sie sind ausgenommen.

Munz: Nein, nein! Sprechen wir doch Klartext hier. Sie geben Ihren Bundeshaus-Badge einer Tabaklobbyistin und sagen, der Jugendschutz sei Ihnen wichtig. Da muss ich ein grosses Fragezeichen dahintersetzen.

Germann: Also bitte! Das lasse ich nicht ­gelten.

Die Sprache ist von Renate Hotz, die ein Mandat von British American Tobacco hat. Was sagen Sie zu dem Vorwurf, Herr Germann?

Germann: Er ist völlig daneben. Denn das ist Bestandteil unseres Zutrittssystems für alle Lobbyisten in Bern. Frau Hotz ist eine anerkannte Lobbyistin und hat viele verschiedene Mandate. Als ich ihr den Badge gegeben habe, war sie in erster Linie für Alu- und Pet-Reycling unterwegs.

Munz: Warum stehen Sie dann nicht dazu?

Germann: Das Zutrittssystem ist ja öffentlich. Und die Lobbyisten sagen ja, für wen sie unterwegs sind. Jetzt kommen wir auf die persönliche Ebene. Hören wir damit auf!

Munz: Sie haben die SP und mich eben auch als heuchlerisch bezeichnet.

Germann: Ich hatte da eher Ihren Parteipräsidenten vor dem inneren Auge, der für die Drogenliberalisierung ist und sich selber mit einem Joint ablichten lässt. Das ist für mich verlogen.

Herr Germann, vertreten Sie die ­Ansichten der Tabaklobby?

Germann: Unsinn. Konkret hat Frau Hotz – wie auch der Lobbyist von der Lungenliga – viele wertvolle Inputs gegeben.

Munz: Sie propagiert E-Zigaretten. Die haben weniger Giftstoffe, ja, aber sie machen ebenfalls abhängig und dienen als Einstieg zum Tabakkonsum.

Germann: Ich finde, man soll differenzieren. Es ist doch wertvoll, wenn jemand von den sehr schädlichen Zigaretten wegkommt und ein Produkt bekommt, das ihm die Lunge nicht noch weiter «zuteert». Sorry, ich sehe das pragmatisch. Für die Volksgesundheit ist es insgesamt ein Fortschritt, wenn jemand von Zigaretten auf ­E-Zigaretten umsteigt.

Sprechen wir nochmals über die Initiative. Frau Munz, die Gegner befürchten, dass man mit diesem Werbeverbot die Büchse der Pandora öffnet. Sie kritisieren, dass als Nächstes Zucker oder dann das Fleisch drankomme. Was sagen Sie dazu?

Munz: Wer das sagt, hat nicht verstanden, um was es geht. Nämlich um ein Produkt, dass unsere Volksgesundheit bedroht und süchtig macht. 9500 Todesfälle pro Jahr sind auf den Tabakkonsum zurückzu­führen. Das sind vermeidbare Todesfälle. Das ist ein enormer volkswirtschaftlicher Schaden. Es ist eben nicht, wie der Cervelat oder die Rüeblitorte auf den Plakaten, ein Genussmittel. Sondern ein Suchtmittel, das krank macht. Die Plakate sind eine Verharmlosung und eine Verulkung.

Germann: Aber jetzt muss ich doch nochmals aufs Cannabis zu sprechen kommen. Da ist die SP für eine Legalisierung eines Suchtmittels, das ebenfalls krank macht.

Können wir das Thema Cannabis beiseite lassen?

Munz: Ja, machen wir das. Ich glaube, es ist beschämend für die Schweiz, dass wir ­sagen, wir halten den Jugendschutz hoch und dass wir Geld in die Prävention stecken und trotzdem das Wohl der Tabakindustrie höher gewichten als die Gesundheit unserer Kinder.

Germann: Das muss ich vehement in Abrede stellen. Ich kann gegen die Initiative sein, aber für den indirekten Gegenvorschlag. Weil ich markante Verbesserungen will. Und nicht wegen etwas anderem. Etwas anderes lasse ich mir nicht vorwerfen. Ich bin kein Verfechter der Werbewirtschaft, aber ich finde es schon seltsam, wenn man in diesem Land die Werbung für ein legales Produkt de facto verbietet.

Munz: Der Verkauf von Tabakwaren für unter 18-Jährige ist nicht legal, damit soll auch Werbung für Jugendliche nicht legal sein!

Sie gewichten die Wirtschaftsfreiheit hoch, Herr Germann. Vielen Bürgerlichen geht auch der indirekte Gegenvorschlag zu weit. Ihnen nicht?

Germann: Aus liberaler Sicht geht er schon sehr weit. Nahe an die Bevormundung heran. Aber unter dem Titel Kinder- und Jugendschutz kann man dieses Mass an Bevormundung vertreten. Ich verstehe auch nicht, dass die Initianten an der Initiative festgehalten haben. Das ist eine Zwängerei. Aber so, wie es ausschaut, werden sie da-mit durchkommen. Obwohl es den nichtrauchenden Teil der Bevölkerung ja nicht betrifft.

Auch Nichtraucherinnen und Nicht­raucher können zu dem Thema Tabakwerbeverbot eine Meinung haben.

Munz: Und vergessen Sie den volkswirtschaftlichen Schaden nicht. Der betrifft uns alle. Man rechnet mit jährlich 5,5 Milliarden Franken.

Germann: Ja, das ist zu viel. Da bin ich einverstanden.

Immerhin. Ein versöhnlicher Abschluss.