Im Bundeshaus sorgt ein klassifiziertes Informationskonzept aus der Bundesverwaltung für Betriebsamkeit.
von Beni Gafner
Bern – Der Grundsatz behördlicher Information der Bundesverwaltung ist im Leitbild der Konferenz der Informationsdienste festgehalten. Es heisst dort:
– Mit einer aktiven Kommunikation erreichen Bundesrat und Bundesverwaltung mehrere Ziele: sie vermitteln Informationen, zeigen Zusammenhänge auf, schaffen Transparenz und stellen Vertrauen her – Und: «Informationen der Bundesverwaltung müssen sachlich und objektiv sein, unzulässig sind Propaganda, Suggestion, Manipulation und Vertuschung.» Diesen Informationsgrundsätzen, unter der Leitung von Bundesratssprecher Achille Casanova im Jahr 2003 formuliert, widerspricht ein als vertraulich klassifiziertes «Schengen/Dublin-Info-Konzept», das den «Schaffhauser Nachrichten» vorliegt.
Interessant ist darin weniger das politisch umstrittene Thema Schengen/Dublin an sich, das im Rahmen der bilateralen Verträge II die eidgenössischen Räte und das Volk noch beschäftigen wird. Für Stirnrunzeln und Empörung in Politikerkreisen sorgt vielmehr die systematische und umfassende Art und Weise, wie gemäss Verwaltungskonzept dem Dossier Schengen/Dublin zum Durchbruch verholfen werden soll. Demnach wird geplant, einzelne Parteien privilegiert mit Informationen zu versorgen und eine Vielzahl von Organisationen gezielt für die Sache einzuspannen.
Unterstützung mobilisieren
In der Situationsanalyse auf Seite eins des Papiers werden kommunikative Versäumnisse geortet, weil Schengen/Dublin selbst unter Befürwortern als innenpolitisch heikel gelte. «Aus politischer Übervorsicht wurden klare Positionen spät oder nicht bezogen», heisst es weiter. Nun müsse das innenpolitische Negativimage des Dossiers abgestreift werden. «Schengen/Dublin muss von der Politik als das Winner-Dossier entdeckt werden.» Das Konzept beschreibt sodann drei Phasen der Informationstätigkeit sowie ein Raster, in dem zahlreiche Zielpersonen und Organisationen benannt werden, die in nächster Zeit kontaktiert und als Werber für das Anliegen gewonnen werden sollen. «Potenzial für einen Gesinnungswandel gibt es in erster Linie bei der FDP und in geringerem Masse bei der CVP mit je grossen Anteilen von Skeptikern», heisst es im Verwaltungspapier. In direkten Kontakten zu den Parteien, Kantonen und möglichen Interessengruppen (Tourismus, Wirtschaft, Flüchtlingshilfe) müsse Unterstützung mobilisiert und eine breit abgestützte Koordinationsgruppe Informationsarbeit Schengen/Dublin geschaffen werden. (ZT)
Porträt in der «Annabelle»
Definiert wurden sodann «Schwerpunktzielgruppen», welche dem Schengendossier an diversen Fronten zum Durchbruch verhelfen sollen. Angestellte der Bundesverwaltung werden namentlich mit Kontaktaufnahmen beauftragt, etwa mit den Polizeikommandanten der Kantone. Als besonders wichtig unter ihnen gelten gemäss Konzept Peter Grütter (ZH), Léon Borer (AG) und Roberto Zanulardo (BS), die gleichzeitig in eine Prominentengruppe Einsitz nehmen sollen. Weitere Schwerpunktzielgruppen sind: Vereinigung der Polizeibeamten, Grenzwachtkorps, Schweiz Tourismus, Hotelierverein, Flüchtlingshilfe, Schweizerische Offiziersgesellschaft, Weisser Ring, Graue Panter, diverse Berufsverbände und die Neue Helvetische Gesellschaft. Universitäten und Volkshochschulen, aber auch das Forum Lilienberg ob Ermatingen sollen gemäss Konzeptplan von zieldienlichen Vorträgen und «Unterstützungen von Veranstaltungen» profitieren.
Vorgeschlagen werden auch gezielte Kommunikationsmassnahmen, etwa die Platzierung eines Porträts von Monique Jametti Greiner in der Frauenzeitschrift Annabelle. Die Chefin der Abteilung Internationale Angelegenheiten im Bundesamt für Justiz war Verhandlungsführerin in Sachen Schengen mit der EU. Und letztlich sollen die Standesherren Dick Marty (FDP/TI), Peter Briner (FDP/SH), Hannes Germann (SVP/SH), Bruno Frick (CVP/SZ), Maximilian Reimann (SVP/AG) sowie Nationalrätin Brigitta Gadient (SVP/GR) an der Seite von Ex-Nationalrat Ernst Mühlemann (FDP/TG) in einer «Prominenten-Gruppe für Schengen» Platz nehmen.
Empörung im Bundeshaus
Das Auftauchen des vertraulichen Papiers sorgte gestern in der Wandelhalle für Empörung, namentlich bei der SVP, die mehrheitlich gegen Schengen/Dublin ist. Sie reichte umgehend eine Interpellation ein. Damit muss der Bundesrat bis zur nächsten Session Stellung zum Konzept nehmen und die Frage beantworten, «auf welchen verfassungsmässigen und gesetzlichen Grundlagen sich die vorgesehene Informationskampagne der Bundesverwaltung abstützt».
Das Konzept war nach einem «Weltwoche»-Artikel von Urs-Paul Engeler auch Gegenstand einer heftigen SVP-Fraktionsaussprache am vergangenen Dienstag, in der sich Hannes Germann (SH) und Maximilian Reimann (AG) gegen Angriffe von Toni Bortoluzzi (ZH) verteidigen mussten. Die beiden erklärten, sie wüssten vom Informationskonzept nichts, auch seien sie in dieser Sache von der Verwaltung bisher nicht kontaktiert worden.
Germann erklärte gegenüber den SN, er sei über die Existenz dieses Papiers sehr erstaunt, insbesondere, dass er ohne sein Wissen namentlich darin aufgeführt werde. Nicht akzeptabel sei, dass einzelne Parteien von Behördenseite privilegiert mit Informationen versorgt werden sollen. Im Konzept werden für dieses Ansinnen FDP und CVP sowie deren Jungparteien explizit genannt. Peter Briner meinte auf Anfrage, er habe von der Sache «mit einer Mischung zwischen Amüsement und Stirnrunzeln Kenntnis genommen».
Für beide hat das Papier in der Sache indessen keinen Einfluss, man wolle sich so oder so für Schengen/Dublin einsetzen. Für SVP-Präsident Ueli Maurer hat das Info-Konzept System. Die Verwaltung versuche im Rahmen einer Kampagne zu zeigen, dass sich die SVP in dieser Frage nicht einig sei. Achille Casanova, Informationsverantwortlicher der Bundesverwaltung, war gestern für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Unklar bleibt damit, wie weit das Konzept umgesetzt werden soll, nachdem es per Indiskretion an die Öffentlichkeit gelangt ist.