Das Parlament möchte etwas gegen steigende Prämien tun und sagt Ja zu Qualitäts- und Kostenzielen im Gesundheitswesen. Es erntet Kritik von Gesundheitsökonom Willy Oggier.
Reto Zanettin
BERN. Peter Hegglin wollte wohl niemandem Angst machen, sondern schlicht ein sich für viele Menschen immer weiter verschärfendes Problem hervorheben: «Heute zahlt eine Familie mit zwei Kindern im Schnitt über 1000 Franken an Prämien, und das jeden Monat. Im Jahr 2000 waren es noch weniger als 500 Franken», sagte der Mitte-Ständerat gestern im Ratssaal. Thema waren die Gesundheitskosten und wie sie eingedämmt werden können. Konkret beriet die kleine Kammer den Gegenvorschlag zur Kostenbremse-Initiative, welche verlangt, dass die Gesundheitskosten nicht stärker wachsen als die Wirtschaft und die Löhne. Der Bundesrat fand, dieser Ansatz greife zu kurz. Wichtige Kostentreiber wie die Demografie oder der technisch-medizinische Fortschritt würden nicht berücksichtigt.
Der Gegenvorschlag arbeitet nun nicht mit einer eigentlichen Kostenbremse, sondern mit Qualitäts- und Kostenzielen für Gesundheitsleistungen. Der Bundesrat legt sie für jeweils vier Jahre fest. Die Kantone können sich daran orientieren und eigene Qualitäts- und Kostenziele formulieren.
«Wir sind gehalten, die Sorgen der Bevölkerung ernst zu nehmen und dort zu handeln, wo wir direkt Einfluss nehmen können», sagte Hegglin. Der Gegenvorschlag zur Kostenbremse-Initiative entlaste mit «konkreten und griffigen Massnahmen» die Prämienzahlerinnen und Prämienzahler.
Eine andere Position nahm der Schaffhauser Hannes Germann (SVP), der ein in seinen Augen fragwürdiges Kostendiktat witterte. Die Tariffreiheit von Leistungserbringern wie Ärzten, Spitälern und Pflege auf der einen Seite sowie den Krankenkassen auf der anderen Seite werde durch «eine geradezu planwirtschaftlich anmutende staatliche Kostenbürokratie ersetzt».
Germanns Argument verhallte. Eine Mehrheit der Ständeratsmitglieder befürwortete den Gegenvorschlag mit den Qualitäts- und Kostenzielen. Sie folgte damit dem Nationalrat, der das Geschäft schon letztes Jahr gutgeheissen hatte. Aufgrund einiger Differenzen ist es noch nicht ganz unter Dach und Fach.
Einig sind sich die Räte allerdings, dass es auf vier Jahre angelegte Qualitäts- und Kostenziele geben soll. Schaumschlägerei sei das, kritisiert Gesundheitsökonom Willy Oggier. Denn zum einen werde die Halbwertszeit des medizinischen Wissens auf etwa drei Jahre geschätzt, es überhole somit die Planung. Zum anderen ergäben Kostenziele keinen Sinn, wenn unklar bleibe, welche Versorgung gewollt sei. Im Klartext: «Die Debatte ist unehrlich, weil niemand sagt, wo genau gespart werden soll.» Und wenn gespart werde, komme es über kurz oder lang zu Einschnitten, also etwa zu Leistungskürzungen und längeren Wartezeiten.
Dass das Parlament auch Qualitätsziele in die Vorlage aufgenommen hat, ändere daran nichts. Qualitätsziele seien keine Versorgungsziele. Ein Versorgungsziel ist zum Beispiel, dass Verunfallte innert 15 Minuten eine Notfallstation erreichen und dort behandelt werden. Ein Qualitätsziel kann hingegen die hinreichende Ausbildung von Spitalpersonal sein.
Rollenkonflikte bleiben
Nach den bisherigen Ratsdebatten bleibt jedenfalls fraglich, wie genau die Kostenziele eingehalten werden sollen. Das Parlament strich nämlich jene Bestimmung, die bei Kostenüberschreitungen Gegenmassnahmen erlaubt hätte. Hegglin begründet die Streichung im Gespräch mit den SN so: «Man kann keine Korrektur machen, indem man eine Rationierung einführen würde. So weit will niemand gehen und ich glaube, es wäre falsch.» Viel eher sollten sich Tarifpartner und Behörden an einen Tisch setzen und schauen, wie überschiessende Kosten wieder in den Griff kommen können. «Wir wollen nach wie vor ein gutes, qualitativ hochstehendes Gesundheitswesen», unterstreicht der Zuger Ständerat.
Derweil bezweifelt Oggier, ob das Parlament überhaupt auf dem richtigen Dampfer sitzt. Und das hat mit der Mehrfachrolle der Kantone zu tun. «Wer das Kostenproblem im Gesundheitswesen beheben will, muss die Rollenkonflikte beheben», so der Gesundheitsökonom. Jetzt aber verschlimmere man das Problem. Denn die Kantone sind bereits Spitaleigentümer, -planer und -finanzier. «Nun sollen sie auch noch Kostenziele umsetzen können und damit eine weitere Rolle übernehmen.» Sie dürften kaum ein Kostenziel anstreben, das ihre eigenen Spitäler zum Sparen zwinge.
Rückzug der Volksinitiative?
Die Mitte-Partei hatte die Kostenbremse-Initiative im Jahr 2018 lanciert. Schon damals stiegen die Prämien. In den letzten Monaten hat zudem die Teuerung wieder eingesetzt – und mit ihr eine rege Kaufkraftdebatte. In dieser hat sich die Mitte mit ihrer Initiative positioniert, obschon diese älter ist als die seit letztem Sommer laufende Diskussion um die Kaufkraft. Das kann man als politisch klugen Zug bezeichnen.
Allerdings fragt es sich, da der Gegenvorschlag auf gutem Wege ist, ob die Initiative weitergeführt wird. Hegglin findet: «Wenn der Gegenvorschlag griffige Massnahmen enthält, könnte die Partei allenfalls sagen, sie ziehe die Initiative zurück.» Unterdessen reklamierte die Mitte gestern Abend einen Erfolg für sich: «Wir sehen es als unseren Verdienst an, dass der Gegenvorschlag zur Initiative heute im Ständerat eine Mehrheit fand», schrieb sie in einem weiteren Communique.
Oggier sagt hingegen: «Die Mitte-Partei kann froh sein, dass der Gegenvorschlag durchgekommen ist.» Somit könne sie ihre unpopuläre Volksinitiative zurückziehen – «unpopulär deshalb, weil sie der Öffentlichkeit im Wahljahr erklären müsste, wo die Einschnitte erfolgen.» Für den Gesundheitsökonomen ist es somit offensichtlich, dass auch die Kostenbremse Leistungskürzungen bringen könnte.