von Norbert Neininger
Noch immer erschüttern die Ausläufer des politischen Erdbebens vom vergangenen Wochenende die hiesige Parteienlandschaft. Dass der Quereinsteiger Thomas Minder seine Konkurrenten – beides gestandene und verdiente Mitglieder ihrer Partei – geradezu deklassierte, war, gelinde gesagt, überraschend. Gewählt wurde ein Unternehmer, der seine Unabhängigkeit ins Zentrum stellte und sich von Parteien und Verbänden distanzierte. Bisher galt es als Vorteil, wenn man sich in Gemeinde, Stadt oder Kanton engagiert hatte, seit Sonntag könnte man vermuten, dass solches Engagement und die damit verbundene politische Kleinarbeit – die in der Regel für Gottes Lohn erfolgt – die Wahlchancen eher verringerte.
Doch der Reihe nach bei der Ursachenforschung. Thomas Minder ist als Vater der Abzocker-Initiative in der ganzen Schweiz bekannt; sein unermüdlicher Einsatz gegen die unverschämt hohen Managerlöhne, die Boni und goldenen Fallschirme machte ihn zum nationalen Medienstar. Unvergessen sind die Bilder von jener UBS-Generalversammlung, bei der er nach einer Brandrede von Bodyguards aus dem Saal gezerrt wurde. Der standhafte Kleinunternehmer wurde zur Symbolfigur für das solide Schweizer Unternehmertum und steht für den Kampf gegen die Multis. Mit Respekt hatte man (auch in Schaffhausen) davon Kenntnis genommen, dass Thomas Minder weitgehend im Alleingang nicht nur die Abzocker-Initiative zustande gebracht hatte, sondern sich auch für die Echtheit des Swiss-Herkunftsabzeichens einsetzte. Und doch: Man wusste bis zu seiner Wahl nicht, wie populär er auch hierzulande ist. Die Freisinnige Partei wiederum hatte einen Ständeratssitz zu verteidigen. Christian Heydecker wurde dazu in einer parteiinternen Ausmarchung auserkoren. Im Verbund der Schaffhauser bürgerlichen Allianz sollte es wohl gelingen, den bisherigen SVP-Ständerat Hannes Germann mit dem erfahrenen Freisinnigen Heydecker ins Stöckli zu delegieren. Dies umso mehr, als weit und breit keine Gefahr drohte. Vor allem hatte Thomas Minder, von dem in den politischen Zirkeln des Öfteren die Rede war, mehrfach erklärt, er werde nicht kandidieren, da ihn weder Parteien noch Verbände je angefragt hätten. Mit der in einem mehrseitigen Interview in unserer Zeitung eröffneten Kandidatur Thomas Minders begann, was mit der vernichtenden Niederlage des Freisinns endete, dessen Kandidat letztlich sogar vom Sozialdemokraten Matthias Freivogel geschlagen wurde. Thomas Minders Wahlkampf war beispielhaft orchestriert und getaktet. Er setzte im ersten Wahlgang erfolgreich auf Inserate, welche im hohen Rhythmus seine Positionen darlegten und den Plakaten der Konkurrenten die Aufmerksamkeit stahlen. Er machte aus der Not eine Tugend; dass er nirgends dazugehört, geriet ihm zum Vorteil, und dem unabhängigen Kämpfer gegen die Classe politique flogen die Sympathien auch dann noch zu, als er Heydecker hart und persönlich angriff. Und als im ersten Wahlgang zwar Hannes Germann blendend gewählt wurde, aber Minder, Heydecker und Freivogel in die zweite Runde mussten, begann Minders Wahlkampfwalze bereits am Dienstag wieder zu drehen – während die anderen sich noch von ihrem Schock erholten. Minders Sieg war eindeutig, und daran gibt es nichts zu deuteln. Dennoch darf man darauf hinweisen, dass seine Positionen – die ja hinlänglich bekannt sind – teilweise Widersprüche enthalten und er bis anhin nicht offengelegt hat, welcher Fraktion er sich anschliessen wird. Sollte dies – was wahrscheinlich ist – jene der SVP sein, gehörten drei der vier Eidgenossen dann jener Partei an. Und Minder wird als Gegner der Kernenergie nicht auf der SVP-Parteilinie politisieren können. Jetzt gehen die Verlierer über die Bücher. Das bürgerliche Wahlkomitee könnte, das steht fest, von Minders Wahlkampfleiter und Sekretär Claudio Kuster viel lernen; die SVP muss sich fragen lassen, warum ihr Thurgauer Nationalrat, Bauernpräsident und Bürger von Löhningen, Hansjörg Walter, für Minder Partei ergriffen hat. Und die Jungfreisinnigen werden überlegen, ob ihr harter Wahlkampfstil, den Minder provozierte, angemessen und nützlich war. Zu welchen Schlüssen auch immer man nun kommen mag: Die Wahl des parteilosen Minder darf jene nicht entmutigen, sie sich – für welche politische Richtung auch immer – in der Gemeinde, der Stadt oder dem Kanton engagieren.