[Schaffhauser Nachrichten] «System soll gerecht sein»

Der deutsche Bundesfinanzminister Olaf Scholz lässt die Einführung einer Bagatellgrenze für Ausfuhren aus Deutschland prüfen. Damit kommt Bewegung in die Debatte um den Einkaufstourismus.

Reto Zanettin

SCHAFFHAUSEN. Noch im Januar hat die Wirtschaftskommission des Ständerates (WAK-S) diverse Vorstösse diskutiert, die dem Einkaufstourismus entgegenwirken sollen. Beschlossen hatte die Kommission schliesslich, einen in den nächsten Wochen erscheinen-den Bericht des Bundesrates über die Auswirkungen der Frankenstärke abzuwarten. Im selben Zuge verwarf die Kommission mehrere parlamentarische Vorstösse. Fazit: Die Schweiz tritt an Ort, was das Thema Einkaufstourismus angeht.

Nun aber brachte Olaf Scholz, deutscher Bundesfinanzminister, Bewegung in die Sache. Er will eine Bagatellgrenze von 175 Euro für die Rückerstattung der deutschen Mehrwertsteuer prüfen lassen (SN berichtete am 25. April). Was die im Grenzgebiet ansässige Schweizer Händler freut, stiess in Süddeutschland auf Widerstand. So sprach sich die Industrie- und Handelskammer Hochrhein-Bodensee (IHK) gegen die Wertgrenze aus, unterhalb derer die deutsche Mehrwertsteuer nicht zurückerstattet wird. In einer Medienmitteilung sprach sie von einem Eigentor, wenn Deutschland eine Bagatellgrenze einführen wolle (die SN berichteten am 30. April).

«Diskussion ist überhöht»

Martina Munz, SP-Nationalrätin aus dem Kanton Schaffhausen, sieht in der Bagatellgrenze denn auch eine Art Entgegenkommen Deutschlands gegenüber der Schweiz. Doch die Diskussion um Wertgrenzen für die Mehrwertsteuerbefreiung werde überhöht. «Ebenso wichtig wie sich über Freigrenzen zu unter­halten, wäre es, kartellähnliche Preisabsprachen im grenzüberschreitenden Warenverkehr zu unterbinden.» Das brächte substanzielle Preissenkungen, die es für Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten attraktiv machten, im Inland einzukaufen, meint die Bundesparlamentarierin und schildert, wie sogar in der Schweiz hergestellte Schokolade im Ausland billiger erhältlich ist. Für Munz ist deswegen klar: «Hier ist nun die bürgerliche Mehrheit im Parlament gefragt. Es besteht dringender Handlungsbedarf, doch den Bürgerlichen liegt das Wohl der Generalimporteure näher als das Wohl des einheimischen Gewerbes.»

Gerechtigkeit und Standortattraktivität

Hannes Germann, Schaffhauser Ständerat (SVP), sieht die Situation rund um den Einkaufstourismus und die Bagatellgrenze ge­lassener. Man solle erst einmal abwarten, wie sich die Lage entwickle, meint Germann, der noch zwei weitere Aspekte ins Feld führt: Gerechtigkeit und Standortattraktivität. «Als Politiker aus einer Grenzregion setze ich mich für die Standortattraktivität ganz generell ein. Daran hängen letztlich unsere Arbeitsplätze.» Ebenso möchte der Ständerat gleich lange Spiesse schaffen. «Ich mache mich für ein System stark, das gerecht für alle ist. Auf der einen Seite sollen die hiesigen Anbieter weder gegenüber der auslän­dischen Konkurrenz noch gegenüber dem Online-Handel diskriminiert werden.» Auf der anderen Seite solle es den Konsumenten überlassen bleiben, wo sie ihre Einkäufe besorgen.

In dem Zusammenhang sieht Germann durchaus Bedarf, auch die Freigrenze von 300 Franken auf Schweizer Seite zu hinterfragen. «Diese hat man ursprünglich eingeführt, um die Zollbeamten administrativ zu entlasten.» Damit habe man das Einkaufen im Ausland attraktiver gemacht und inländische Anbieter gegenüber Händlern im Ausland diskriminiert. Die einen seien der Mehrwertsteuer unterworfen, die anderen nicht.

Doch wie soll der Konflikt zwischen dem Anliegen einer administrativen Entlastung der Zollbehörden und einem für alle gerechten System behoben werden? «Mit Dazit könnte man eine Lösung erreichen», meint Germann. Dazit gilt als das Schlüsselelement zur Modernisierung und Digitalisierung der Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV). Das Programm soll Zoll- und Abgabeerhebungsprozesse vereinfachen, harmonisieren und digitalisieren. Personen, die Waren in die Schweiz einführen, sollen die Zollprozesse künftig über eine App abwickeln. Das, so die EZV, würde den administrativen Aufwand an der Grenze verringern. Der Bund rechnet mit Einsparungen in Milliardenhöhe.

Einkaufstouristen schlechter gestellt

Wie genau die Schweiz in Sachen Bagatellgrenzen und Einkaufstourismus weiter vorgeht, wird sich erst am 29. August erweisen. Dann berät die WAK-S eine Standesinitiative des Kantons Thurgau, welche die Freigrenze von 300 Franken aufheben und so nicht nur die Einnahmen des Schweizer Fiskus’ erhöhen, sondern auch für mehr Steuergerechtigkeit sorgen will.

Realisiert Deutschland seinerseits die Bagatellgrenze, so würden Einkaufstouristen auf beiden Seiten des Rheins im Vergleich zu heute schlechter gestellt. Das könnte wiederum negativ auf den grenznahen Schweizer Handel zurückschlagen. «Denkbar wäre es immerhin, dass die Leute bewusst für mehr als 175 Euro in Deutschland einkaufen, um so wenigstens die deutsche Mehrwertsteuer zurückerstattet bekommen», so Hannes Germann.