schaffhauser az: Schaffhauser Doppelticket

Nach dem Rücktritt von Eveline Widmer-Schlumpf schlägt die grosse Stunde der SVP. Im Kandidatenfeld sind auch die Schaffhauser Hannes Germann und Thomas Hurter. Haben sie eine Chance?

Von Romina Loliva

Man nennt sie ‚Papabili‘. Der Heilige Stuhl, auf den sie alle wollen, gehört der noch amtierenden Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf, die am 28. Oktober ihren Rücktritt auf Ende Jahr angekündigt hat. Zwei der potenziellen Nachfolger sind die Schaffhauser Hannes Germann und Thomas Hurter. Die Kantonalpartei der SVP hat die Doppelnominierung für die Bundesratswahl nun bestätigt.

Als die Bundesversammlung im Dezember 2007 Widmer-Schlumpf anstelle von Christoph Blocher für die SVP in den Bundesrat wählte, wurde Geschichte geschrieben. Wie mittlerweile bekannt, wurden die Fäden von der SP gezogen. Der Alt-Nationalrat und ehemalige Parteipräsident Hans-Jürg Fehr erzählt: ‚Bereits im Frühling 2007 haben wir den Beschluss gefasst, die Wiederwahl von Blocher zu verhindern. Er verletzte das Kollegialitätsprinzip und hat sich im In- und Ausland als Bundesrat als untragbar gezeigt.‘ Seine Äusserungen in der Türkei zur Rassismusstrafnorm 2006 seien ein gutes Beispiel für die Renitenz Blochers gewesen. ‚Aber wir haben bewusst Eveline Widmer-Schlumpf aus den Reihen der SVP gewählt‘, betont Fehr. Dass dieser Schritt die SVP sprengen könnte, sei höchstens ein Gedankenspiel gewesen.

Das Wunder von Bern
Eine Rückblende: Widmer-Schlumpf, bis dahin bestens im Schoss der SVP eingebettet, war plötzlich die Intimfeindin der gesamten Schweizerischen Volkspartei. Des Verrats bezichtigt, wurden sie und ihre kantonale Sektion im April 2008 aus der SVP geworfen. Die darauf folgende Gründung der BDP wurde als die Geburtsstunde einer Mitte-Allianz gefeiert mit dem Potential, die SVP in die Schranken zu weisen.

2011 konnte das Parlament Widmer-Schlumpf noch halten. Der Versuch der SVP, ihr den Sitz wegzuschnappen, scheiterte an der äusserst peinlichen Episode ­Zuppiger. Der Zürcher Bundesrats-­Anwärter Bruno Zuppiger wurde wegen Veruntreuung angeklagt und durch Hansjörg Walter ersetzt, der aber chancenlos blieb. Seither sind weitere vier Jahre vergangen, in denen sich die Mitteparteien hätten formieren können. Aber die CVP, die sich vor acht Jahren für die Abwahl von Ruth Metzler mit dem Sturz von Christoph Blocher bedankte, scheint das Kriegsbeil begraben zu wollen. Sie anerkennt den Anspruch der SVP auf einen zweiten Sitz in der Landesregierung und lässt die BDP im Regen stehen. Eveline Widmer-Schlumpf nimmt darauf den Hut.

Die Kandidatenschau
Die Scheinwerfer sind nun auf die SVP gerichtet. Die Partei hat aus der Affäre ­Zuppiger gelernt und durchleuchtet das eigene Personal mittels einer Findungskommission, die seit dem Sommer Zeit hatte, mögliche Anwärter auf Herz und Nieren zu prüfen. Die Liste der Kandidaten gleicht einer à la carte-Zusammenstellung: Darauf figurieren das Enfant terrible Oskar Freysinger, der Blocher-Protegé Toni Brunner und der Bahn-Patron Peter Spuhler, die aber noch dankend abwinken, sowie der Hardliner Adrian Amstutz, der nur im Notfall einspringen würde. Aber auch unbekanntere Namen wie Hansjörg Knecht aus dem Aargau finden sich auf der Liste. Als Favoriten werden der Weinbauer Guy Parmelin, der Parteisoldat Heinz Brand und die zwei Schaffhauser Parlamentarier Hannes Germann und Thomas Hurter gehandelt.

Könnte es sein, dass einer von ihnen tatsächlich Bundesrat wird? Oder ist die ­grosse Kandidatenschau nur ein von den Medien gepuschtes Ablenkungsmanöver? Hans-Jürg Fehr ist klar der Meinung, dass die SVP nicht auf die Gunst der Mitte und der Linken angewiesen ist: ‚Wenn SVP, FDP und der rechte Flügel der CVP geeint abstimmen, können sie wählen, wen sie wollen.‘

Bei den echten ‚Papabili‘ zeigt die Tradition, dass ein als Favorit gehandelter Kandidat nicht Papst wird. Wenn die SVP es wie der Vatikan hält, könnte sie noch ein paar heisse Eisen im Feuer haben; vielleicht lassen sich Toni Brunner oder Adrian Amstutz doch noch zu ihrem Glück zwingen. Offensichtlich scheint, dass die Zürcher Sektion, einstige Kader-Schmiede der Partei, momentan ausgelaugt ist und dass die SVP keinen ernsthaften Versuch unternehmen wird, eine Frau aufzustellen. Nach Finte sieht die Kandidatur von Hansjörg Knecht aus, der auch für den Ständerat im Aargau kandidiert und den FDP-Parteipräsidenten Philipp Müller ausstechen soll. Was ist aber mit Germann und Hurter?

‚Eingemitteter‘ vs. Militarist
Die Kantonalpartei habe bereits am 7. Juli Ständerat Hannes Germann und Nationalrat Thomas Hurter der Findungskommission gemeldet, lässt die SVP Schaffhausen verlauten. Parteichef Pentti Aellig begründet den Entscheid mit der ’nachgewiesenen Kompetenz beider Politiker auf kantonaler und nationaler Ebene‘. Die nationale Findungskommission habe den Vorlauf benötigt, um die Kandidaten seriös durchzuchecken, so Aellig, der sich bezüglich der Chancen von Germann und Hurter für das Bundesratsticket nicht aus dem Fenster lehnen will: ‚Beide haben eine hohe Reputation, aber schlussendlich entscheidet die SVP-Fraktion.‘

Germann und Hurter werden in der Presse als ‚Liberale‘, gar als ‚Abweichler‘ bezeichnet. Für Aellig politisieren sie ‚verbindlicher als andere‘, beide seien aber klar auf SVP-Linie: ‚Hannes Germann hat die Masseneinwanderungsinitiative sogar als Ständeratspräsident aktiv unterstützt, Thomas Hurter ist als Präsident der sicherheitspolitischen Kommission ein wichtiger Exponent, der sich klar zum Ausbau der Armee und zur Souveränität der Schweiz positioniert.‘

Ein Vergleich der Smartevote-Profile der beiden Schaffhauser Kandidaten zeigt, dass sowohl Hurter wie Germann bei Kernanliegen der SVP eine klare rechts-bürgerliche Haltung vertreten: In Wirtschaftsfragen, bei Steuern und Finanzen, Sicherheitspolitik und Umwelt und Energie unterscheiden sich die beiden kaum von anderen SVP-Kandidaten; Thomas Hurter fährt in Sachen Landesverteidigung einen dezidierten SVP-Kurs. Überraschungen bieten jedoch seine Antworten auf gesellschaftspolitische Fragen wie das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare, die aktive Sterbehilfe oder die automatische Organspende.

Germann scheint besonders bei sozialpolitischen Fragen eine merklich abweichende Haltung zu vertreten: Kürzungen bei Ergänzungsleistungen und Sozialhilfe, die Erhöhung des Rentenalters und der gesetzlich vorgegebenen Mindestfranchise der obligatorischen Krankenkasse kommen für ihn nicht in Frage. Auch in der Bildungspolitik zeigt sich Germann progressiver als die Parteilinie, befürwortet die Einführung des Lehrplans 21 und das Konzept der integrativen Schule. Würde man ausschliesslich diese Bereiche betrachten, politisiert Germann ähnlich wie BDP- oder CVP-Parlamentarier. Bei Migrationsfragen ist er ebenfalls milder gestimmt als sein Kollege Hurter und bekennt sich zu den Menschenrechten. Die Frage nach der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative und die damit verbundenen bilateralen Verträge beantwortet Hurter liberaler als Germann.

Wie wichtig sind aber solche inhaltliche Ausschläge für die anderen Fraktionen? ‚Das wird sich bei den Hearings zeigen‘, meint Hans-Jürg Fehr, ‚allerdings habe ich immer Abstand davon genommen, SVP-Kandidaten nach ihren politischen Positionen zu beurteilen. Die SP lässt sich auch nicht in ihrer Politik dreinreden. Wichtig ist aber, ob sich die Kandidaten der Verfassung verpflichtet fühlen, die Entscheide des Bundesrates vertreten, die Menschenrechte achten und völkerrechtliche Konventionen einhalten. Sie stehen über dem Schweizer Recht, und diese Tatsache muss vom Bundesrat respektiert werden. Das hat Christoph Blocher die Wiederwahl gekostet.‘ Dass Hannes Germann durch seine Haltung in sozial- und bildungspolitischen Fragen eher ‚eingemittet‘ sei, mache ihn zwar für die Mitte und die Linken wählbarer, bei der SVP aber bestimmt nicht.

Die Verteilung der Macht
Fast wichtiger als die Frage, wer Bundesrat wird, ist die Verteilung der Departemente. Das zu Verfügung stehende Finanzdepartement zählt zu den wichtigen Zentren der Macht. Dass die SVP und die FDP Anspruch darauf stellen werden, scheint wahrscheinlich: ‚Wenn sich SVP und FDP einigen können, schaffen sie es per Mehrheitsentscheid, das Finanzdepartement im rechtsbürgerlichen Block zu behalten‘, so Hans-Jürg Fehr.

Diese Entwicklung bereits im Vorfeld der Wahl beeinflussen zu wollen, gehört für Fehr zwar zur Strategie, aber anstatt bei der jetzigen Bundesratswahl zu ‚zündeln‘, müsse man sich mittelfristig auf die eventuellen Ersatzwahlen während der Legislaturperiode vorbereiten: ‚Rechnerisch gesehen haben die SVP und die FDP nicht die Mehrheit in der Bundesversammlung und somit keinen Anspruch auf die Mehrheit im Bundesrat. Wenn sich die Mitteparteien auf eine gemeinsame Strategie einigen würden, könnten sie einen Angriff auf einen der zwei FDP-Sitze starten‘, erklärt Fehr, ’sie haben es noch nicht geschafft, aber es ist nicht aussichtslos.‘