Schaffhauser Nachrichten: Enttäuschung bis Euphorie nach dem Brexit

Am Tag 1 nach dem Brexit reicht die Bandbreite der Reaktionen in der Schweizer Politik von einem «schlechten Tag für EU und Schweiz» bis zu einer «Chance für EU und Schweiz».

Von Anna Kappeler

SCHAFFHAUSEN Während die einen ­bestürzt sind über den EU-Austritt der Briten, betonen die anderen die sich dadurch eröffnende Chance. «Ich habe Respekt vor der englischen Bevölkerung. Sie wusste, dass ein Austritt zu Verunsicherung führen würde, und hat sich gleichwohl dafür entschieden», sagt SVP-Präsident Albert Rösti. «Unabhängigkeit führt langfristig zu Reichtum.» Als Schweizer aber könne man sich dennoch nicht wirklich über den Brexit freuen, da dieser auch uns als ­direkten Handelspartner betreffe.

Enttäuscht über das Resultat ist Nationalratspräsidentin Christa Markwalder (FDP/BE). «Ich hatte gehofft, dass sich eine Mehrheit der Briten von der Vernunft leiten lässt. Und zugunsten von Stabilität und Rechtssicherheit für den Verbleib in der EU votiert», sagt Markwalder. Doch eine Mehrheit habe den Weg gewählt, der zu grosser Verunsicherung führe.

Sie sei nicht optimistisch, dass dies gut komme für die Briten. «Die EU wird ­– um die Austrittslust anderer Länder zu zügeln –­ den Briten höchstens dort entgegenkommen, wo es ihren eigenen Interessen entspricht.» Das sei nicht das Ende der EU, sagt Markwalder, die sich nach wie vor für einen EU-Beitritt ausspricht. «Aber der Brexit zeigt, dass wer mit dem Feuer spielt, sich tüchtig verbrennen kann.» Auch auf die Schweiz hat dieser Entscheid laut Markwalder negative Auswirkungen, denn eine pragmatische Lösung mit der EU zur Masseneinwanderungs-Initiative zu finden, habe sich durch den Brexit drastisch erschwert.

Bewusst gelassen gibt sich CVP-Präsident Gerhard Pfister. Es gebe keinen Grund, sich als Schweizer zu ärgern oder zu freuen, sagt er dem «Tages-Anzeiger». Das sei ein Volksentscheid, den es zu akzeptieren und umzusetzen gelte.

«Ohrfeige für EU – das ist richtig»

Deutliche Worte zum Brexit findet hingegen der Schaffhauser Nationalrat Thomas Hurter (SVP): «Die EU hat keine Bereitschaft gezeigt, den Briten entgegenzukommen, sie hat diese Abstimmung nicht ernst genommen. Nun hat sie eine Ohrfeige kassiert. Das ist richtig», sagt Hurter. Wenn die EU weiterbestehen wolle, müsse sie nun ihren Mitgliedsländern entgegenkommen. Sie könne nicht so zentralistisch weitermachen wie bis anhin. Über die weiteren Folgen könne zum jetzigen Zeitpunkt nur spekuliert werden, zu viele Variablen seien noch unklar. Dennoch sagt Hurter: «Ich gehe davon aus, dass der Brexit sich auf die Schweiz nicht negativ auswirken wird.»

«Chancen für alle Seiten»

Ähnlich sieht das sein Schaffhauser Parteikollege, Ständerat Hannes Germann. «Die Schweiz kann jetzt die Achse über die Efta stärken, vielleicht handelt Grossbritannien ja jetzt auch bilaterale Verträge aus, so wie die Schweiz. Ich sehe mit dem Entscheid Chancen für alle Seiten, für die EU, für Grossbritannien und für die Schweiz», sagt Germann.

Natürlich komme es zu einer Verunsicherung in der Verhandlungspha- se, insbesondere für die Finanzmärkte, und für Unternehmen dürfte es laut Germann schwierig werden. «Kurze Ausschläge aber gehören bei den Börsen dazu, das wird sich wieder normalisieren», sagt er. Germann glaubt nicht, dass der Brexit einen Einfluss auf die Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative haben wird. «Die EU wird jetzt gegenüber der Schweiz nicht härter verhandeln. Das wäre kontraproduktion für die Union, weil sie damit nur die Gefahr anderer Länderaustritte vergrössert.»

«Das wird Probleme geben»

Anders sieht das die Linke. Für die Grünen stehen nach dem Brexit «die Chancen der Schweiz für Sonderregelungen mit der EU bei unter null», wie sie in einer Pressemitteilung schreiben. Und SP-Präsident Christian Levrat sagt dem «Tages-Anzeiger»: «Der Entscheid ist ein Schock für all jene Menschen, die an die EU als ein Friedensprojekt glauben.» Die Schaffhauser SP-Nationalrätin Martina Munz doppelt nach: «Es ist ein schlechter Tag für Europa und für die Schweiz. Auf die Schweiz werden Probleme zukommen.» So- lange die EU die Verhandlungen mit Grossbritannien nicht abgeschlos-sen habe, sagt Munz, werde sie der Schweiz keine Zugeständnisse machen. «Bis im kommenden Februar aber müssen wir die Masseneinwanderungs-Initiative umgesetzt haben – dem Bundesrat wird also kaum etwas anderes übrig bleiben, als auf eine einseitige Schutzklausel zu setzen.» Dies aber kollidiere mit der Personenfreizügigkeit. «Die Schweiz wird also wohl schon sehr bald erneut über die Frage ‹Bilaterale oder buchstabengetreue Umsetzung der Zuwanderungs-Initiative› abstimmen», sagt Munz.