Beim Bleigiessen am SN-Neujahrsapéro sagte das Orakel Schaffhauser Persönlichkeiten die Zukunft voraus – mit einem Augenzwinkern.
Von Saskia Baumgartner und Mark Liebenberg
Bereits zum zweiten Mal fand gestern der Neujahrsapéro der «Schaffhauser Nachrichten» samt traditionellem Bleigiessen im etwas grösseren Rahmen als Show im Stadttheater Schaffhausen statt. Rund zweihundert Gäste hatten den Weg auf den Herrenacker gefunden, um dem Spektakel beizuwohnen. Beim Bleigiessen wird heisses, geschmolzenes Blei mit einer Kelle in kaltes Wasser gelassen – die so entstehenden Figuren können alsdann als Gegenstände gedeutet werden, und ein geheimnisvolles Orakel erstellt daraus dem Giessenden eine Zukunftsprognose für das kommende Jahr. Als Ehrengäste sind dazu jeweils Personen aus der Region geladen, die im angelaufenen Jahr vor besonderen neuen Herausforderungen stehen.
«Sag Orakel, sag es uns: Gibt’s Freude oder Klage?», fragte der Zeremonienmeister Gerhard Vogel nach der Begrüssung durch SN-Chefredaktor und -Verleger Norbert Neininger. Sechs Persönlichkeiten lud SN-Redaktor Zeno Geisseler dann als wortwitziger Conférencier auf die Bühne. Den Anfang machte die Motorradrennfahrerin Sabine Holbrook aus Hallau, die nicht etwa die Bühne betrat, sondern standesgemäss auf ihrer Honda CBR 600 RR hereinrollte. Die zweifache Mutter steht vor der Europameisterschaft in der Profiklasse. Ein gefährliches Hobby, wie sie meinte, denn als Fahrerin sei sie in dieser Männersportart eine Exotin: «Es ist gefährlich. Männer riskieren mehr, um nur nicht von einer Frau geschlagen zu werden», meinte Holbrook schmunzelnd. Das Objekt, das sie aus dem kalten Wasser zog, erinnerte sie am ehesten an ein Raumschiff. «Mit Licht- geschwindigkeit» werde sie durch ein erfolgreiches Jahr 2014 reisen, prophezeite ihr darauf das Orakel.
Der Ständeratspräsident war als Nächster an der Reihe – als Gegenstand, der ihm in diesem Jahr besonders viel bedeutet, brachte Hannes Germann die originale Glocke des Ratspräsidenten aus Bern mit. Gut gelaunt plauderte Germann über die Tücken seines Amtes. «Manchmal wäre im Ständerat eine Kuhglocke besser», frotzelte er. Beim Giessen zog er einen Klumpen Blei aus dem Wasser, in dem er eine Insel erkannte – «vermutlich die einzige, die mein Vorgänger als Ständeratspräsident in seinem Amtsjahr nicht bereist hat», wie er zum Amüsement des Publikums mutmasste. Das Orakel war auch Germann gewogen: «Du schaffst es!», rief es ihm zu.
Der neue Präsident des Grossen Stadtrats, Georg Merz, kam als nächster Kandidat und hatte ebenfalls seine Sitzungsglocke dabei. Beim anschliessenden Grössenvergleich zog die eine Quinte höher schellende Bundesglocke übrigens den Kürzeren. Was der Mittepolitiker Merz dann goss, löste bei ihm eine ganze Assoziationskette zu Wasserfahrzeugen aus. Ein Segelschiffchen, ein Kajak, ein Weidling? Eine Reise ins Ungewisse habe er vor sich, orakelte es aus dem Off. «Trau dich! Und hau auch mal auf den Tisch!», rief das Orakel ihm zu.
Eine Glasvase mit eingelassenen blauen Mosaiksteinen brachte Regierungspräsident Christian Amsler als Gegenstand, ein Sinnbild für die Schaffhauser Gemeinden, die im Rahmen der Strukturreform schon bald vor der Frage von Fusionen stehen könnten. Der studierte Lehrer Amsler gab sich bedeckt, was seine Ständeratsambitionen anbelangt: «Vielleicht übernehme ich auch mit meiner Frau irgendwo auf dem Land eine Gesamtschule». – «Zum Beispiel, wenn der Kanton Schaffhausen mit Zürich fusioniert und Sie arbeitslos werden?», witzelte Geisseler. Amslers Bleifigur erinnerte ihn an einen filigranen Haken. «Das neue Jahr wird gut», meinte das rätselhafte Orakel. Die erst seit zwei Sessionen für Schaffhausen im Nationalrat politisierende Martina Munz rollte schliess- lich eine gelbe Tonne herein, wie man sie von den Protestkundgebungen der Atommüll-Endlager-Gegner kennt. «Gegen das Endlager und für die Energiewende setze ich mich auf Bundes- und Kantonsebene ein», sagte Munz. Was ihr in Bern gefalle? «In unserer Fraktion hat es viele Frauen – das bin ich mir leider aus der Schaffhauser Politik weniger gewohnt.» Munz erkor das Bleigebilde, welches sie gegossen hatte, nach langem Überlegen zu einem Drachenboot. Mit einer guten Haltung könne sie im neuen Jahr Drachen besiegen, orakelte es. Ob die Nagra der Drache sei, wollte der Conférencier wissen. «Sie ist einer von vielen», meinte Munz lachend. Thomas Fischer schliess- lich, neuer CEO des Elektritätswerks, brachte eine kunstvoll gearbeitete Stromsparlampe mit. «Die Energiewende ist das Thema, das unser Zeitalter prägt, und ich freue mich, dabei zu sein. Einen Delfin aus Blei zog der gebürtige Franke aus dem Wasser, «bleibe flexibel, und erfreue dich am Licht!», sprach das Orakel. Beim anschliessenden Apéro wurde munter und bis tief in die Nacht genetzwerkt.