[Berner Zeitung] Streit um Mitsprache der Gemeinden zu neuen Windparks spitzt sich zu

Der Gemeindeverband verzichtet auf eine Parole zum Stromgesetz. Grund ist ein umstrittener Gesetzespassus. Die Gegner sehen sich bestätigt.

Von Stefan Häne

Fällt die Mitbestimmung tatsächlich weg?: Plakat der Gegner.
Fällt die Mitbestimmung tatsächlich weg?: Plakat der Gegner.

«Mitbestimmung abschaffen?» Der Mund der jungen Frau ist zugeklebt, im Hintergrund stehen sieben Windräder auffallend eng beieinander vor Häusern: Mit diesem Sujet bekämpfen Landschaftsschützer das ihrer Ansicht nach «anti-demokratische» Stromgesetz, das am 9. Juni zur Abstimmung kommt. Die Stimmbevölkerung, so die Kritik, könne nicht mehr mitentscheiden, wenn in ihrer Gemeinde Wind- oder Solarparks gebaut würden.

Im Fokus des Abstimmungskampfs steht also Absatz 3 von Artikel 13 des revidierten Energiegesetzes, das Teil der Vorlage ist – und bereits im Parlament umstritten war: Der Nationalrat wollte ihn streichen, der Ständerat setzte sich am Ende aber durch.

Demnach kann der Bundesrat auf Antrag eines Standortkantons kleineren Anlagen ausnahmsweise ein nationales Interesse zuerkennen, wenn diese einen «zentralen Beitrag» dazu leisten, die Ziele beim Ausbau der erneuerbaren Energien zu erreichen.

Ihre Realisierung wäre also von nationalem Interesse und damit gleichrangig mit anderen nationalen Interessen, etwa dem Natur- und Heimatschutz. Zusätzlich kann der Bundesrat beschliessen, dass die notwendigen Bewilligungen in einem konzentrierten und zeitlich gestrafften Verfahren erteilt werden.

Röstis Departement kontert

Darauf angesprochen, seufzt SVP-Ständerat Hannes Germann: «Das ist tatsächlich ein unschöner Artikel.» So sieht es auch der Gemeindeverband, den Germann präsidiert. Dieser fasst nun laut Germann keine Parole zum Stromgesetz – obschon er die Vorlage im Grundsatz befürwortet. Zur Freude der Gegner. «Diese sachliche Beurteilung freut mich», sagt Elias Vogt, Präsident des Vereins Freie Landschaft Schweiz.

Das Departement von Energieminister Albert Rösti argumentiert derweil, auch bei einem Ja zum Stromgesetz seien Volksabstimmungen über neue Solar- und Windparks weiter möglich, sowohl auf Kantons- als auch auf Gemeindeebene.

Und: Der besagte Passus im Gesetz werde in der Praxis aller Voraussicht nach toter Buchstabe bleiben, weil kleinere Anlagen «rein logisch nicht zentral sein können für die Ausbauziele». Sollte der Passus wider Erwarten doch je zur Anwendung gelangen, werde der Bundesrat die Entscheidungsbefugnisse der Gemeinden nicht einschränken können – auch auf dem Verordnungsweg nicht.

Gegner sehen Anwendungsfälle

Die Gegner des Stromgesetzes verweisen auf juristische Gutachten, die sie eingeholt haben. Vogt sagt, der Bundesrat könne solche kleineren Anlagen im Rahmen von kantonalen Plangenehmigungsverfahren faktisch durchsetzen lassen, sprich: ohne Volksabstimmungen in den Gemeinden, wenn er vom besagten Gesetzespassus Gebrauch mache.

Heute erlangen gemäss Gesetz Windparks mit einer Jahresproduktion von 20 Gigawattstunden und mehr explizit nationale Bedeutung. Unter dieser Schwelle liegen – je nach Standort und Grösse – Windparks mit bis zu vier Anlagen, wie Vogt vorrechnet. Diesen könne der Bundesrat mit dem Stromgesetz nun nationales Interesse zuschreiben. Und: Es gebe zahlreiche solcher Windparks, die in Planung seien, etwa Joux-du-Plâne (NE), Stierenberg (LU) oder Krinau (SG).

Die Prognose des SVP-Ständerats

Die Befürworter des Gesetzes widersprechen vehement. «Ich sehe nicht, wie der fragliche Gesetzespassus den Gemeinden die Mitsprache entzieht», sagt Grünen-Nationalrat Bastien Girod.

Der Gemeindeverband dagegen traut der Sache offenbar nicht ganz. Der Ständerat, kritisiert Hannes Germann, habe mit seinem Festhalten am strittigen Gesetzespassus die nötige Sensibilität vermissen lassen. Germann glaubt aber wie Röstis Departement, dass der Passus «mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit» nicht zur Anwendung kommen werde.

Germann selber befürwortet das Stromgesetz. Er wolle nicht die ganze Vorlage wegen eines einzigen Artikels versenken. «Ich werde mich im Abstimmungskampf aber zurückhalten.»