[Neue Zürcher Zeitung] Die Gegner der AHV-Steuer-Vorlage zeigen Ermüdungserscheinungen

Im Parlament setzten sich SVP, Grünliberale und Grüne noch mit aller Kraft gegen den «Kuhhandel» zur Wehr. Mittlerweile ist ihr Kampfeswille geschwunden.

Parteikollegen werfen SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi vor, er habe zu lange stur am Nein zur AHV-Steuervorlage festgehalten. (Bild: Alexandra Wey / Keystone)
Parteikollegen werfen SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi vor, er habe zu lange stur am Nein zur AHV-Steuervorlage festgehalten. (Bild: Alexandra Wey / Keystone)

Noch im Herbst waren die Fronten klar bei der AHV-Steuer-Vorlage: SVP, Grünliberale und Grüne machten – unterstützt durch die Jungparteien – Stimmung gegen das umstrittene Geschäft. Insbesondere von der SVP kamen kämpferische Töne: Der Fraktionschef Thomas Aeschi hatte parteiintern ein Nein zum «Kuhhandel» durchgepeitscht – die Fraktion sprach sich in grosser Mehrheit gegen den «faulen Kompromiss» aus. Selbst Schwergewichte wie Magdalena Martullo-Blocher, die zuvor noch erklärten, sie könnten mit der Verquickung von AHV und Steuern leben, schwenkten auf diese Linie ein. Und praktisch ebenso diskussionslos wandten sich die Grünliberalen und die Grünen im Parlament gegen die Vorlage – wenn auch aus völlig unterschiedlichen Gründen: die einen, weil sie in ihr einen undemokratischen Deal auf Kosten der Jungen sahen. Die anderen, weil sie Steuerausfälle in Milliardenhöhe befürchteten.

Doch jetzt, gut drei Wochen vor dem Urnengang, ist von den Gegnern der AHV-Steuer-Vorlage fast nichts mehr zu hören. Und das, obwohl das Getöse im Abstimmungskampf doch eigentlich auf den Höhepunkt zusteuern sollte. Praktisch ohne Gegenwehr können die Wirtschaftsverbände ihre millionenschwere Kampagne ausrollen und die Plakatwände in diesem Land mit den Doppelkreuz-Sujets tapezieren.

SVP-Basis befürwortet AHV-Steuer-Vorlage

Insbesondere von der SVP kommt kaum noch Gegenwehr: Die Partei, die gemäss Selbstverständnis eine Wirtschaftspartei sein will, hat Stimmfreigabe beschlossen im für den Unternehmensstandort Schweiz wichtigsten Geschäft seit Jahren. Sie übt sich derzeit in Schadensbegrenzung, denn schon seit längerem hat sich abgezeichnet, dass die Basis den Oppositionskurs der Parteileitung nicht mitträgt. Nicht weniger als zehn Kantone haben mittlerweile die Ja-Parole beschlossen – am grössten war die Zustimmung in der Westschweiz. Während weitere neun Kantone Stimmfreigabe beschlossen haben, mochten nur gerade fünf Kantonalparteien – Zug, Basel-Stadt, St. Gallen, Aargau und Schwyz – der ursprünglichen Linie der Bundeshausfraktion folgen.

Würde in diesen Kantonen heute noch einmal abgestimmt, wäre diese Gruppe noch kleiner. In Zug fasste die Kantonalpartei die Parole zur AHV-Steuer-Vorlage im Januar – in Abwesenheit des Zuger Finanzdirektors Heinz Tännler. «Damals konnte der SVP-Fraktionschef die Leute noch von seiner ablehnenden Haltung überzeugen», sagt Tännler, ein Befürworter des Geschäfts. In der Zwischenzeit habe an der Basis ein Gesinnungswandel stattgefunden. 

Bei Tännler wie auch bei diversen anderen SVP-Exponenten ist der Ärger über den Oppositionskurs der Parteileitung unüberhörbar. «Es war ein Fehler, dass die Partei lange stur an ihrer ablehnenden Haltung festhielt», sagt der Regierungsrat. Schliesslich hätten ja alle Exponenten mit dem Steuerteil der Vorlage leben können. Und dass man die AHV-Finanzierung ebenfalls vorantreiben müsse, sei unbestritten.

Der Schaffhauser SVP-Ständerat Hannes Germann wiederum kritisiert die «Hüst und Hott»-Politik seiner Partei. Man müsse sich nicht wundern, wenn die Leute da den Kopf schüttelten. Im Kanton Schaffhausen haben die SVP-Delegierten die AHV-Steuer-Vorlage mit 63 Ja zu 1 Nein angenommen. «Das zeigt, dass die Basis völlig anders tickt als die Parteileitung», sagt er. Laut Germann lehnten seine Parteikollegen im Parlament die AHV-Steuer-Vorlage aus verletzter Eitelkeit ab. «Zum Glück hat man nun doch noch den Rank gefunden.»

Ähnlich deutlich fiel das Verdikt im Kanton Bern aus. Dort sprachen sich drei Viertel der SVP-Delegierten für die AHV-Steuer-Vorlage aus – auch für Werner Salzmann, Präsident der Berner Kantonalpartei, ein «überraschend hoher Ja-Anteil». Letztlich habe sich die Einsicht durchgesetzt, dass die Vorlage für die Unternehmen sehr wichtig sei und überdies einen guten Beitrag für die AHV leiste.

Thomas Aeschi widerspricht der Kritik, an der Basis vorbeizupolitisieren. «Der Stimmbürger muss einzeln sowohl zu einer AHV-Reform wie auch zur Steuervorlage Ja oder Nein sagen können», so der Zuger SVP-Nationalrat. Es sei falsch, wenn zwei Elemente verknüpft würden, weil sie beide einzeln nicht mehrheitsfähig seien. Auch spreche sich laut der ersten Trendumfrage des Forschungsinstituts GfS die Mehrheit der SVP-Anhänger gegen die AHV-Steuer-Vorlage aus. «Das zeigt, dass nicht nur die Parteileitung, sondern auch unsere Basis diese Vorlage nicht goutiert.»

Auch Abweichler bei den Grünliberalen

Derweil zeigt man auch bei den Grünliberalen nur eine beschränkte Bereitschaft, sich gegen die AHV-Steuer-Vorlage ins Zeug zu legen. Die sachfremde Verknüpfung der AHV-Finanzspritze mit der Steuervorlage sei zwar störend, sagt der Parteichef Jürg Grossen. «Unser Schwerpunkt bei der Abstimmung am 19. Mai liegt aber klar beim Waffenrecht und bei der Weiterentwicklung von Schengen.» Im Übrigen verfüge man nicht über die nötigen Mittel, um eine Kampagne zu führen. Dabei scheren auch bei den Grünliberalen immer mehr Kantonalparteien aus: So sprechen sich mittlerweile deren fünf – Zug, Schwyz, Basel-Stadt, Waadt und Genf – entgegen der Doktrin der Parteizentrale für die AHV-Steuer-Vorlage aus.

Übrig bleibt auf der Gegnerseite die Grüne Partei. Auch sie kämpft mit bescheidenen Mitteln gegen die AHV-Steuer-Vorlage – will aber immerhin eine Abstimmungskampagne führen. So wird ein eigenes Sujet, das ein explodierendes Päckli zeigt, welches Spital, Altersheim und Schulen zerstört, in den nächsten Tagen auf elektronischen Bildschirmen in den grösseren Bahnhöfen des Landes zu sehen sein. Man sei überzeugt, im linken Lager den Trend ins Nein hin zu akzentuieren, sagt der grüne Nationalrat Balthasar Glättli. Die letzte Überzeugung, dass es am Schluss für ein Nein reichen kann, scheint jedoch auch bei ihm zu fehlen.