Schaffhauser Nachrichten: Der Mann mit dem freundlichen Handzeichen

Ernst Steiner-Heer wird heute Donnerstag 90 Jahre alt und blickt politisch und beruflich auf ein reiches Leben zurück – unter anderem als Staatsanwalt, als langjähriger Direktor der Cementi Thayngen, als Kantonsrat, Mitglied des Ständerates und Brigadier der Grenzbrigade 6.

von Martin Schweizer

Kürzlich vor dem Schaffhauser Zeughaus drei Generationen von Ständeräten (von links): Steiner, Germann, Seiler im Gespräch mit Bundesrat Ueli Maurer.
Kürzlich vor dem Schaffhauser Zeughaus drei Generationen von Ständeräten (von links): Steiner, Germann, Seiler im Gespräch mit Bundesrat Ueli Maurer.

Ihm schien alles in den Schoss zu fallen, jedes Problem, so es ein solches überhaupt gab, meisterte er spielend. Er war heiter, zuversichtlich, ausgeglichen. Stand über der Sache, nahm Herausforderungen vorbehaltlos an. So ist es bis heute geblieben, die Krawatte sitzt, er zeigt sein freundliches Lächeln, ist offen für Fragen. Überhört sie, wenn sie ihm nicht ins Konzept passen, eine Eigenschaft fast eines jeden Politikers, Ernst Steiner tut es ganz nonchalant.

So weit also alles paletti, nur mit dem Zapfenzieher hantiert er etwas umständlicher als früher, man ist nicht mehr so beweglich, ein Gutsch kann auch mal danebengehen. Oberhallauer muss es heute sein, weil dieser Klettgauer erstens besonders gut schmeckt, im Abgang und auch sonst, und weil zweitens, wichtiger, Vater Baumann, der Rebbauer aus Oberhallau, seinerzeit Rekrut in Steiners militärischer Einheit war.

Noch alles in Ordnung
Ernst Steiner-Heer, gebürtiger Hallauer, Politiker, Unternehmer, Offizier, der seine Grussbotschaften und politischen Bekenntnisse konstant mit einem «freundlichen Handzeichen» abschliesst, feiert heute Donnerstag seinen 90. Geburtstag. Er fühlt sich gut, ist gesund, zum Laufen benützt er zwar einen Stock, doch im Kopf, sagt er, sei «Gott sei Dank noch alles in Ordnung». Wir machen, wenige Tage vor seinem Geburtstag, die Probe aufs Exempel und stellen sein Gedächtnis ein bisschen auf den Prüfstand – lockerer Rückblick auf vergangene Jahre und Jahrzehnte mit allen Höhen und Tiefen, dies in seiner gemütlichen Eigentumswohnung auf der Breite. Begrüsst werden wir von Hanny, einer Seele von Frau, hören wir ringsum auch von Bekannten; mit ihr, der Sägerstochter aus Neunkirch, ist Ernst Steiner seit 60 Jahren verheiratet; drei Kinder (und Enkelkinder) kommen hier jeweils zu Besuch, Regula Hendry, Präsidentin der Schaffhauser Winterhilfe, Dorothea Lemke, Pfarrerin in Oetwil, Conrad Steiner, der Sohn, ist Künstler, er malt – und kann, schöne Gleichzeitigkeit der Ereignisse, demnächst im Museum zu Allerheiligen seine Bilder ausstellen.

Mehr als Aktivdienst 
90 Jahre, ein biblisches Alter, doch gar nicht mehr so selten wie einst und keineswegs nur beschwerlich. Ernst Steiner beweist, wie es sein kann, er ist an diesem Vormittag jedenfalls bester Laune und ein aufmerksamer Gastgeber. Auf dem Tisch liegt sein Dienstbüchlein, gegen 2500 Diensttage sind darin registriert, für Aktivdienstler der Leistungsausweis schlechthin. Unser Senior hat allerdings, beruflich und politisch, im Laufe seines Lebens noch sehr viel mehr geschultert, ein Militärkopf im landläufigen Sinn war er ohnehin nie. Die Stationen in Kurzfassung: Nach dem Studium, Promotion und Gerichtsschreiber, ein Sprachaufenthalt in England, dann wird er Staatsanwalt, geht für zweimal sechs Monate mit einer Schweizer Delegation nach Südkorea, übernimmt eine Generalagentur. Ab 1968 bis zur Pensionierung 1985 steht Steiner als Direktor der Portland-Cementwerk Thayngen vor, sitzt auch im Verwaltungsrat der Georg Fischer, politisiert für die SVP im Kantonsrat, amtet zeitweise als Oberrichter. Während zweier Amtsperioden, von 1979 bis 1987, ist er Mitglied des Ständerates, in der Schweizer Armee befehligt er ausserdem die Grenzbrigade 6; seine Uniform hängt inzwischen im Zeughausmuseum, die Dienstpistole hat der ehemalige Brigadier seinem Freund und Waffensammler Theo Schöttli vermacht.

«Deprimierende» Entwicklung 
Zu Offizieren und Soldaten hält Steiner nur noch einen losen Kontakt, erklärt im Gespräch nun aber doch resolut, er empfinde die heutige Entwicklung in der Schweizer Armee als «deprimierend» und leide unter der offenkundigen Ratlosigkeit. Mit dem verstorbenen Armee-Reformer und Knorr-Direktor Heinrich Oswald, der den «Gewehrgriff abgeschafft» hat, verbindet ihn gedanklich noch immer viel, Reformen, meint Steiner, waren damals richtig und notwendig. Was aber heute in Bern abläuft und inszeniert wird, kann er beim besten Willen nicht nachvollziehen. In öffentliche Debatten mag sich Ernst Steiner nicht mehr einmischen, was man gut verstehen kann. Denn der Mann hat in der Vergangenheit in politischer Hinsicht genug erlebt, Positives wie Negatives, so den sogenannten Klüngelprozess oder den legendären Dörflinger Parteitag in den Siebzigerjahren, als die SVP Schweiz auf Um- wegen Ständerat Koni Graf, den mitunter feuchtfröhlich agierenden Grünen der ersten Stunde, kalt abservieren und durch Steiner ersetzen wollte. Der Coup misslang, Graf wurde 1973 vom Volk mit Glanz und Gloria wiedergewählt.

Spannendes Duell
Hochspannung kam vier Jahre später im «Bellevue» auf – nach der Ära Graf bei Ernst Steiners Nomination als Ständeratskandidat. Parteiintern setzte sich der Hallauer nach mehreren Wahlgängen mit hauchdünner Mehrheit gegen den ebenso beliebten wie populären «Bauerngeneral» Willy Gysel durch; Gysel kandidierte in der Folge als Nationalrat und verpasste den Sprung nach Bern nur knapp.

Kein Hardliner
Als «Turm in der Schlacht» bezeichnete Ernst Steiner in jenen Jahren SVP-Sekretär Hans Isler, der heute über den Jubilar viel Gutes zu sagen weiss: Steiner, beteuert Isler, habe grosse Verdienste, er sei kein Hardliner gewesen, liess als Staatsanwalt auch Milde walten, politisierte und handelte, oft ohne Aufhebens hinter den Kulissen, aus einer ausgesprochen sozialen Haltung heraus. Er konnte im Beruf und in der Politik «sehr überlegt und mutig», je nach Situation aber auch spontan und, vor allem, unabhängig sein. Weggefährten erinnern sich, dass Ernst Steiner auch parteipolitisch leichthin über den eigenen Schatten springen konnte. So durfte alt Regierungsrat Ernst Neukomm, Gewerkschafter und engagierter Mann der Linken, vor Wahlen zuverlässig auf Steiners Unterstützung zählen. Der tiefere Grund liegt nicht etwa in den Genen, sondern in der Herkunft: Beide, Steiner wie Neukomm, sind Hallauer, und Hallauer halten nun mal zusammen. Echte Männerfreundschaften haben auch kein Verfallsdatum. Gerade ist ein Rundbrief im Umlauf, ehemalige Rekruten, lang ists her, schätzen ihren «Kadi» offensichtlich noch immer und gratulieren ihm landesweit zum heutigen Geburtstag. Dem Reigen dieser alten Haudegen und Gratulanten schliessen auch wir uns gerne an.