Die Schaffhauser Bundesparlamentarier reagieren auf die Nichtwahl von Christoph Blocher völlig unterschiedlich. Dabei erlitt die Konkordanzidee aus Sicht der Verlierer Schiffbruch; aus Sicht des Siegers blieb sie gewahrt. Peter Briner freute sich zuerst einmal über das sehr gute Abschneiden «seiner» Bundesräte Pascal Couchepin und Hans-Rudolf Merz. Es war seiner Meinung nach nicht ganz selbstverständlich und im nachfolgenden Getöse zu Unrecht fast untergegangen.
Überrascht hat ihn dagegen die Abwahl von Christoph Blocher im zweiten Wahlgang. Weil die Gegenkandidatur mit absolut verdecktem Visier vorbereitet worden war. So zogen die Grünen ihren Kandidaten aus der Waadt, Luc Recordon, zurück, weil sich eine aussichtsreichere Kandidatur ergeben habe, deren Namen jedoch nicht bekannt gemacht wurde. Dies ist für Briner ein absolut unübliches Vorgehen und von der Strategie her ein äusserst fragwürdiger Stil, zumal die Kandidatin nicht einmal angefragt worden sei. Es war dies ein abgekartetes Spiel. Die nun Gewählte wird, falls sie annimmt, auf die Gnade der Linken und der CVP angewiesen sein; und das werde sie sich sehr gut überlegen müssen.
Auf besonnene CVP gehofft
«Ich kenne Eveline Widmer-Schlumpf aus der Zeit als Finanzdirektor als sehr entscheidungsfreudig. Es wäre an sich ein klares Ja oder Nein zu erwarten gewesen.» Doch wenn es um ein so hohes Amt geht, kommen neue Kräfte ins Spiel. Es gelte nun zu warten, auch auf das weitere Vorgehen der SVP, die schon im Vorfeld angedeutet hatte, dass sie keine andere Wahl als Blocher anerkennen werde. Dieser dürfte das SVP-FDP-Potenzial mit den 115 Stimmen praktisch ausgeschöpft haben. Briner rechnete jedoch mit besonnenen Kräften aus der CVP, die diesen Schachzug nicht mitmachen würden. Wie es morgen weitergeht, liegt nun bei Eveline Widmer-Schlumpf. Nimmt sie die Wahl an, ist die Sache gelaufen. Sagt sie ab, befindet sich die Vereinigte Bundesversammlung gemäss Briner wieder auf Feld eins. Es liege dann an der SVP, wen sie vorschlage; und den werde die FDP auch wählen. Frustriert vom Ergebnis ist Hannes Germann. Dabei war ihm kurz vorher klar geworden, dass etwas im Tun sei. Etwas fassungslos hatte er zur Kenntnis genommen, dass Eveline Widmer-Schlumpf vom Kommunisten Joseph Zysiadis vorgeschlagen wurde; der Waadtländer sei denn auch der Einzige gewesen, der der Gegenkandidatur zu Christoph Blocher einen Namen gegeben hatte. Und als die Bündnerin im ersten Wahlgang besser als der Bisherige abschnitt, habe ermit dem Schlimmsten gerechnet.
Bleibt es bei diesem Ergebnis, sieht Germann die Konkordanz gesprengt. Denn die SVP habe in Bundesrat Samuel Schmid bereits ein Mitglied geschluckt, das sie nicht in der Landesregierung wollte, einen zweiten ungewollten Magistraten nehme sie nicht hin. Er attestierte Widmer-Schlumpf, ausgezeichnete Arbeit als Regierungsrätin zu leisten; aber sie wäre nicht Blocher, der zusammen mit Schmid die SVP-Wählerschaft ausgezeichnet abbilde. «Falls Widmer-Schlumpf heute die Wahl doch annimmt, steht ihre Regierungstätigkeit unter einem denkbar schlechten Stern», so Germann, denn sie habe im Vorfeld im Gespräch mit dem Parteipräsidenten klar signalisiert, dass sie nicht zur Verfügung stehe.
Hart ins Gericht
Wenig erfreut zeigte dich der Schaffhauser über das Vorgehen der CVP. Diese habe im Vorfeld verlauten lassen, keinen Bisherigen abzuwählen. Wenn schon, dann hätte die Partei der Mitte laut Germann mit offenem Visier antreten müssen und nicht einfach die Chance ergreifen sollen, die Wahl als billige Abrechnung zu nutzen. Germann, dem die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben stand, ist bereit, den Weg in die Opposition anzutreten, wenn Widmer-Schlumpf heute die Wahl annimmt. Das Wie sei dann noch zu diskutieren. Für ihn werde sich an der Arbeit in Bern wenig ändern, da er als Schaffhauser Standesvertreter gewählt worden sei. Für Thomas Hurter wurde der Mittwoch zu einem traurigen Tag. Am Morgen war er – psychisch etwas angespannt – in den Ratssaal gegangen, wobei er gut instruiert war und wusste, wie er sich bei den einzelnen Wahlgängen zu verhalten hatte.
Noch vor einer Woche hatte er mit dem Ergebnis, wie es nach dem zweiten Wahlgang für Christoph Blocher ausgezählt worden war, nicht gerechnet. Er war wohl davon ausgegangen, dass das Resultat nicht glanzvoll ausfallen, aber für die Wiederwahl reichen würde. Ein schlechteres Gefühl hatte sich allerdings in den letzten Tagen eingestellt. Im Speziellen erwähnte Hurter die CVP, die sich nicht an die Vorgaben gehalten habe, ganz im Gegensatz zur SVP, die immer kommunizierte, von den Parteien Vorgeschlagene zu wählen. Aber anscheinend hielt die SVP ein Ausscheren der CVP nicht für ausgeschlossen. Die nun gewählte Bündnerin Eveline Widmer-Schlumpf kennt der Schaffhauser SVP-Nationalrat nicht persönlich. Er weiss, dass im Vorfeld der Wahl die SVP-Spitze mit allen potenziellen Kandidaten und Kandidatinnen Gespräche geführt hatte, also auch mit ihr. Hurter kann jedoch nachvollziehen, dass sie nach der neuen Situation sich Bedenkzeit ausbedungen hat.
SVP-Strategie klar
Die Strategie der SVP für den Donnerstagmorgen ist gemäss Hurter bereits klar. Nimmt Widmer-Schlumpf die Wahl an, geht die Partei in die Opposition. Sie sieht diese Zeit jedoch nur als Übergangsphase mit dem Ziel, wieder in die Landesregierung zurückzukommen. Sie will aber in beiden Rollen eine konstruktive Arbeit leisten. Sagt Widmer-Schlumpf jedoch Nein und lehnt die Wahl zur Bundesrätin ab, wird die SVP wieder Christoph Blocher für einen nächsten Wahlgang vorschlagen. Hurter hofft dann, dass innerhalb der CVP bei einigen Mitgliedern die Einsicht gewachsen ist, es sei doch besser, Christoph Blocher als Bundesrat zu bestätigen. Als vollen Erfolg für die SP sieht Hans-Jürg Fehr die gestrigen Ergebnisse zu den Bundesratswahlen. Zum einen wurde das seit Jahren verfolgte Ziel erreicht: Christoph Blochers Wiederwahl konnte erfolgreich verhindert werden.
Dabei schaffte es die SP-Fraktion, den Konkordanzanspruch der SVP zu wahren, indem sie deren Bisherigem Samuel Schmid ihre Stimme gab und an Stelle von Blocher eine andere starke Kraft aus der gleichen Partei zu wählen. Fehr gibt zu, dass die Tatsache, dass Regierungsrätin Eveline Widmer-Schlumpf bereits im ersten Wahlgang mehr Stimmen auf sich vereinigte als Blocher, eine unberechenbare Dynamik entstehen liess. Kurz vor der Wahl liefen zwischen den Parteien die Drähte heiss, weil verschiedene Exponenten eine Alternative innerhalb der SVP suchten. Laut Fehr landete man dann schnell bei der Bündnerin; anhand ihres Leistungsausweises drängte sie sich geradezu auf.
Deckel hielt dicht
Die Suche musste im Verborgenen vonstatten gehen. Daher war klar, dass es niemand aus der SVP-Fraktion sein konnte. Der Durchbruch erfolgte laut Fehr am Dienstagabend. Da signalisierte die CVP, dass sie keinen eigenen Kandidaten gegen Blocher antreten lassen wolle. Gleichzeitig machte sie deutlich, dass mehr als die Hälfte der Fraktion Blocher nicht wählen würde. Damit war auch klar, dass eine Mehrheit gegen den bisherigen Bundesrat zu erreichen war. Von den Beteuerungen der SVP-Spitze, man habe von Eveline Widmer-Schlumpf eine klare Zusage, sie werde eine Wahl nicht annehmen, hält Fehr im Übrigen gar nichts. Nachvollziehbar ist für ihn allerdings, dass die gestern im Schnellzug von Chur nach Bern Gereiste sich Bedenkzeit erbeten hat. Aber er geht klar davon aus, dass sie heute, wenn die Vereinigte Bundesversammlung wieder zusammengetreten ist, die Wahl annimmt. Dann wäre auch der Frauenanspruch erfüllt. (wic)