Schaffhauser Nachrichten: forum pro – Die Wirtschaft braucht ein Ja

Hannes Germann vertritt ein Ja zur Personenfreizügigkeit

Das Volk hat dem ersten Paket der bilateralen Verträge und damit auch dem Freizügigkeitsabkommen mit der EU im Mai 2000 mit einer soliden Zweidrittelmehrheit zugestimmt. Die Bilateralen I haben sich in der Zwischenzeit vielfach bewährt. Die Vorteile sind für unsere Wirtschaft von zentraler Bedeutung. Und doch sei es nicht verschwiegen, dass die Erweiterung auf die zehn neuen EU-Länder nicht nur mit wirtschaftlichen Chancen, sondern auch mit Risiken verbunden ist. Wie attraktiv ist der Schweizer Arbeitsmarkt für Arbeitnehmer aus den neuen EU-Oststaaten? Kommt es zu Lohndumping, höherer Arbeitslosigkeit oder gar zu ungebremster Zuwanderung zum Sozialsystem?
Was ist davon zu halten? Der europäische Binnenmarkt ist für das klassische Exportland Schweiz der mit Abstand wichtigste Markt. So ist denn auch zu beachten, dass es sich bei Ländern wie Ungarn, der Slowakei, Slowenien, den drei baltischen Staaten, Polen usw. um Märkte handelt, die überdurchschnittlich wachsen. Zumindest auf diesen Märkten müssten wir daher im Falle eines Neins mit Diskriminierungen rechnen.
Die andere Frage ist daher, wie sich die EU bei einem Nein zur Personenfreizügigkeit verhalten würde. Das Risiko einer Kündigung aller Verträge («Guillotine-Klausel» bei den Bilateralen I) halte ich persönlich zwar für nicht sehr hoch. Zu vorteilhaft ist allein das Landverkehrsabkommen (Transitverkehr über den Gotthard) für die EU und insbesondere für unsere Nachbarstaaten. Sie würden einer Kündigung wohl kaum zustimmen – und Einstimmigkeit wäre gefordert. Ebenso steht aber fest: Die EU könnte die Diskriminierung einzelner Mitgliedstaaten nie und nimmer akzeptieren. Das wäre ja, wie wenn die Schweiz ein bilaterales Abkommen abschliessen würde, von dem zehn Kantone ausgeschlossen blieben. Undenkbar! Also müssten wir zweifellos mit Retorsionsmassnahmen rechnen. Das dürfen wir unserer so stark exportorientierten Wirtschaft nicht antun. Schweizer Unternehmen beschäftigen in ihren Niederlassungen in der EU mittlerweile rund 760 000 Mitarbeitende, und von 620 000 Auslandschweizern leben deren 380 000 in der EU. Diese Zahlen sollen unterstreichen, wie eminent wichtig ein möglichst ungestörtes Verhältnis zur EU für unser Land ist.
Zu den von Gegnerseite gemalten Horrorszenarien muss entgegnet werden, dass es in der EU bisher, allen Befürchtungen zum Trotz, nicht zu einer Völkerwanderung gekommen ist. Auch der reiche Kleinstaat Luxemburg ist nicht überrannt worden, weder von Franzosen noch von Deutschen – und auch nicht aus dem Osten. Die Probleme in Deutschland wiederum hängen eher mit eigenen Schwächen und der Dienstleistungsfreiheit zusammen, um die es hier aber nicht geht.
Die schrittweise Öffnung des Arbeitsmarktes und die von der Schweiz durchgesetzten flankierenden Massnahmen verhindern eine Massenzuwanderung und Lohndumping. Sollten sich die einzelnen Nachteile trotzdem als zu gross erweisen, haben wir im Jahr 2009 die Möglichkeit, gegen das Freizügigkeitsabkommen mit der EU das Referendum zu ergreifen. Wenn schon, wäre das, sozusagen als Notbremse, der richtige Weg. Nicht aber die bevorstehende Abstimmung. Hier setzen wir besser auf unsere Stärken und Chancen als auf dumpfe Ängste. Auf den bewährten bilateralen Weg, der sich bisher als Königsweg für die Schweiz erwiesen hat.