Von Hannes Germann
Einkaufen ist notwendig. Vielen macht es sogar Spass. Man will etwas und zahlt bar oder mit Kreditkarte den geforderten Preis. Eine klassische Win-win-Situation. Oder auf gut Deutsch: Beide haben am Ende im Idealfall das Gefühl, für sich etwas gewonnen zu haben. Oder haben Sie beim Verlassen des Einkaufscenters oder des Dorfladens etwa das Gefühl, das Geschäft als Verlierer zu verlassen?
Hoffentlich nicht. Obwohl die Schweiz nebst Japan zu den Ländern mit den höchsten Preisen gehört und – weil die Nachbarn tiefere Preise haben – als Hochpreisinsel gilt. Und obwohl auch die Politik laufend über zu hohe Preise jammert und die nationale Boulevardpresse uns dies immer wieder mit Preisvergleichen vor Augen führt.
Nebst den Bauern wird vor allem auch auf dem hier Steuern zahlenden und Arbeitsplätze anbietenden Detailhandel kräftig herumgehackt. Migros kam an die Kasse, weil die Guetsli in der Schweiz 73 Prozent teurer sein sollen als im benachbarten Deutschland.
Beim sommerlichen Aufräumen kommt mir ein «Blick»-Expemplar vom 17. Februar 2005 in die Hände. Das Blatt aus dem Hause der Verlegerfamilie Ringier, die es (dank zu hohen Schweizer Preisen vielleicht?) zu enormem Reichtum gebracht hat, führte einen riesigen Internet-Preisvergleich bei Tchibo durch. «So melken uns die Deutschen!», heisst es in grossen Lettern auf der Frontseite. Und etwas kleiner: «187 Produkte sind in der Schweiz bis zu 87 Prozent teurer.» Beim Differenzspitzenreiter handelt es sich übrigens um eine billige Jogginghose … Bei Tchibo nennt man als einen der Gründe für die zwischen 3 und 87 Prozent höheren Preise auf dem Schweizer Markt das generell höhere Preisniveau in der Schweiz. Dass Unternehmen ihre Produktpreise der Kaufkraft eines Landes anpassen, ist nicht neu. Das hat nebenbei auch eine soziale Komponente. Darüber hinaus führt Tchibo einzelne Faktoren an, die uns bekannt sind: höhere Ladenmieten (Bau/Raumplanung, Verbandsbeschwerden), höhere Personalkosten, höhere Transportkosten (LSVA), zusätzliche Schweizer Vorschriften.
Ob das der durchschnittlichen Preisdifferenz von 35 bis 40 Prozent entspricht, ist schwer zu sagen. Bekannt ist, dass Immobilien in der Schweiz besonders teuer sind. Im westeuropäischen Preisniveauvergleich (EU15 = 100 Prozent) nehmen die Schweizer Bruttomieten mit 180 Prozent den Spitzenplatz ein, gefolgt von den Wachstumsbereichen Gesundheitswesen und Staatsausgaben, wo wir mit über 160 Prozent ebenfalls am teuersten sind, während der verglichene Haushaltsbedarf und die Freizeitartikel nur bescheidene 10 Prozent über dem EU-Mittel liegen. Es könnte also durchaus sein, dass Tchibo, wie dargelegt, bei uns besonders kräftig zulangt.
«Blick»-Kommentator Bertolami kehrt dann mit seiner Schlussfolgerung die Kernaussage «Deutsche melken uns» in ihr Gegenteil um. Er folgert nämlich, es sei für unseren Detailhandel «höchste Zeit, dass endlich Aldi und Lidl kommen». Wohl davon ausgehend, dass es durch Aldi und Lidl bei Migros, Coop und den anderen zu Entlassungen kommen wird, will der «Blick» dann nicht schuld sein. So fordert der Kommentator schon einmal, dass das «human» geschehen müsse. Nötig wären «anständige Sozialpläne in den Firmen, Hilfe bei der Behebung von Ausbildungsdefiziten – und für den Fall, dass alle Stricke reissen, ein vernünftiges soziales Auffangnetz». Es fehlt eigentlich nur noch die Forderung, dass mit den tieferen Lebensmittel- und anderen Produktpreisen gleichzeitig auch die Löhne beim Verkaufspersonal steigen müssten. Was für eine Heuchelei! Aber es lenkt so schön von den wahren Preistreibern in unserem Land ab.