[Schaffhauser Nachrichten] In Bundesbern hapert es noch immer an Mehrsprachigkeit

Von Gesetzes wegen sollten die Landessprachen in der Bundesverwaltung angemessen vertreten sein. Doch davon ist Bundesbern noch ein gutes Stück weit entfernt, wie eine gestern präsentierte Studie belegt.

BERN. Im Grossen und Ganzen sieht es gut aus. Gemäss dem Bundespersonalamt sprechen 71 Prozent der Mitarbeiter in der Bundesverwaltung Deutsch als Muttersprache. 22 Prozent stammen aus der Romandie, 6,5 Prozent aus dem Tessin und 0,5 Prozent sind Rätoromanen. Das würde den Vorgaben des Sprachengesetzes und der Sprachenverordnung entsprechen. Doch die Zielwerte beziehen sich nicht auf die Bundesverwaltung als Ganze, sondern sollen auf Ebene der Verwaltungseinheiten erreicht werden. «Eine Auswertung zeigt grosse Unterschiede zwischen den Bundesämtern und legt nahe, dass das Ziel einer angemessenen Vertretung der Sprachgruppen in den Verwaltungseinheiten des Bundes bei Weitem noch nicht erreicht ist», stellen die Autoren der gestern vorgestellten Studie «Les Langues du Pouvoir» («Die Sprachen der Macht») fest.

Dazu muss man wissen: Die Diskussion um die Sprachenvielfalt in der Bundesverwaltung hält seit den 1950er-Jahren an, wie Daniel Kübler, einer der Studienverantwortlichen, an der Medienkonferenz ausführte. Eine Verbesserung sei wahrnehmbar. Doch Stand heute sind Deutschsprachige in 45 der 67 Verwaltungseinheiten über-, in 16 Ämtern untervertreten. Umgekehrt sieht es für Romands, Tessiner und Rätoromanen aus. Sie sind in den meisten Verwaltungsstellen weniger gut repräsentiert, als es das Gesetz vorsieht. Fazit: Nahezu 60 Prozent der über 35 000 Verwaltungsangestellten arbeiten in einer Verwaltungseinheit, in der es einen Überhang der Deutschschweizer gibt.

Deutsch prägt Kommissionsarbeit

Die Untervertretung der lateinischen Schweiz wirkt sich auch auf den Gesetzgebungsprozess aus. In diesem fungie-ren die Parlamentskommissionen als Schnittstelle zwischen der Bundesverwaltung und dem Nationalrats- beziehungsweise Ständeratsplenum. Nationalratspräsidentin Isabelle Moret (FDP) und Ständeratspräsident Hans Stöckli (SP) schilderten während der Online-Konferenz ihre Eindrücke. «In den Kommissionen spricht theoretisch jeder in seine Muttersprache, es gibt keine Simultanübersetzung», erklärt Moret, die aus dem Kanton Waadt stammt. Allerdings wechselten die Romands und Tessiner häufig ins Deutsch, damit sie von ihren Kollegen besser verstanden würden. «Manchmal kommt es zu ärgerlichen Erlebnissen im Austausch mit der Bundesverwaltung, etwa in Fragerunden.» Jedes Kommissionsmitglied könne Fragen in seiner Muttersprache stellen. «Man erhält wohl eine Antwort – ausser wenn die auf Französisch gestellten Fragen nicht adressiert werden, weil sie die Leute in der Bundesverwaltung nicht hinreichend gut verstehen.» Gerade bei komplexen Geschäften komme dies vor, sagt Moret.

Die stärkste Kraft in der Kommissionsarbeit sei Deutsch, bestätigt Ständeratspräsident Stöckli. Er führt aus: «Ich mag mich nicht erinnern, dass das Original eines Gesetzestextes jemals in Italienisch formuliert gewesen ist. In Ausnahmefällen kommt es sogar vor, dass wir über Gesetze befinden, die noch gar nicht von Deutsch in die anderen Landessprachen übersetzt wurden.» Diesem Umstand solle man Abhilfe verschaffen.

Im Gespräch mit den SN sagt der Schaffhauser SVP-Ständerat Hannes Germann, der die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur präsidiert: «Gesetzesentwürfe liegen in der Regel in Deutsch und Französisch vor.» Wenn es zwischen den Sprachversionen Differenzen gebe, halte man sich an die Originalfassung und korrigiere die anderen Versionen entsprechend. «Weil die Originale häufig in Deutsch aus den Ämtern in die Kommissionen kommen, hat das Deutsche in dieser Hinsicht einen Vorsprung.» In anderer Hinsicht äussert sich Germann nuancierter als Moret und Stöckli: «Welsche zieht es eher hin zu Themen wie Bildung, Gesundheit oder Aussenpolitik. Deutschschweizer bevorzugen etwa Wirtschaft oder Sicherheit.» Darum könne es sein, dass in einigen Kommissionen Deutsch dominiere, während andere französisch geprägt seien.

Germann – wie die Ratspräsidenten – halten Bildung für wichtig, um die Mehrsprachigkeit in der Bundesverwaltung zu fördern: «Je mehr Deutschschweizer andere Landessprachen beherrschen, desto eher werden die Romands, Tessiner und Rätoromanen Zugang zur Bundesverwaltung haben. Denn sie werden dann besser verstanden und können sich eher in ihrer Muttersprache ausdrücken.» Zudem sollten die Landessprachen gegenüber dem Englisch stets den Vorrang haben, findet Germann. «Wenn die Leute in erster Linie Englisch miteinander sprechen, schwächt dies die Sprachenvielfalt in unserem Land.» (rza)