Bildungsrahmenartikel: Neue Brisanz
Einigen sich die Kantone nicht beim Sprachunterricht, greift der Bund ein.
von Michael Brunner
Bern – Als der Ständerat im Dezember als Zweitrat dem Bildungsrahmenartikel einstimmig zustimmte, schlug dies keine hohen Wellen. Der Grund: Die Kantone bleiben im Bildungsbereich weiterhin tonangebend. Erst wenn sie in Fragen, wo eine Koordination nötig ist, keine Einigung finden, kann der Bund eingreifen. Daher stimmten selbst die Kantone dem Bildungsrahmenartikel zu.
Wenn die Stimmbürger am 21. Mai über den Bildungsrahmenartikel abstimmen, dürften die Wogen trotzdem etwas höher gehen. Ursache dafür ist der Streit um die Fremdsprachen in der Primarschule. Die kantonalen Erziehungsdirektoren haben sich 2004 eigentlich auf das Modell 3/5 geeinigt. Das heisst, ab der dritten Klasse wird die erste, aber der fünften Klasse die zweite Fremdsprache unterrichtet – und eine von beiden ist eine Landessprache. Doch nun wankt dieser Kompromiss. Bereits ausgeschert sind Appenzell Innerrhoden und Nidwalden, welche in der Primarschule nur eine Fremdsprache unterrichten. Genau das Gleiche verlangen verschiedene kantonale Volksinitiativen. Die Schaffhauser Stimmenden entscheiden am 26. Februar über eine davon. Die Thurgauerinnen und Thurgauer sind am 21. Mai an der Reihe, pikanterweise also an dem Tag, an dem auch die Entscheidung über den Bildungsartikel fällt.
Stimmen die Bürgerinnen und Bürger auch nur eines Kantons der Initiative zu, dürfte der Kompromiss der Kantone definitiv vom Tisch sein. Und dann käme allenfalls der Bildungsrahmenartikel, ein Ja an der Urne vorausgesetzt, zum Tragen. «Es ist aber nicht so, dass einfach der eidgenössische Schulvogt kommt, wenn ihm das Volksverdikt nicht passt», beschwichtigt der Thurgauer SVP-Ständerat und Jurist Hermann Bürgi. Er fürchtet, dass der Bildungsrahmenartikel wegen des Sprachenstreites in Gefahr gerät. Dabei müssten nach einem Nein zum Modell 3/5 die Erziehungsdirektoren «das Volksverdikt akzeptieren und sich zusammenraufen». Genau gleich beur-teilen das die Thurgauer CVP-Nationalrätin Brigitte Häberli und der Schaffhauser SVP-Ständerat Hannes Germann. Zumindest theoretisch wäre dabei auch denkbar, dass die Kantone, gerade wenn auch ein grosser Kanton wie Zürich das Modell 3/5 ablehnt, auf das Modell 3/7 einschwenkten.
Erst wenn die Kantone keine gemeinsame Lösung finden, käme allenfalls der Bildungsrahmenartikel zum Tragen. «Ich persönlich glaube, dass der Artikel auf die Sprachenfrage anzuwenden wäre. Aber das würde noch zu heftigen politischen und juristischen Diskussionen führen», erklärt Bürgi. Gemäss Bildungsrahmenartikel könnte eine Mehrheit der Kantone mit Hilfe des Bundes widerspenstige Kantone zum Mitmachen zwingen. Und nur als Ultima Ratio, wenn auch sanfter Druck nichts nützt, könnte der Bund selbst aktiv werden. «Das ist aber noch weit, weit, weit weg», sagt Bürgi. Und Germann verweist darauf, dass dazu auf Bundesebene erst noch ein Gesetz vom Parlament beschlossen werden müsste: «Der Bildungsrahmenartikel aus der Verfassung lässt sich nicht einfach direkt anwenden.» Häberli, Germann und Bürgi sind sich einig, dass der Bund, um eine minimale Einheitlichkeit zu erreichen, im Extremfall tatsächlich in den Sprachenstreit eingreifen müsste. «Wenn alle Mittel ausgeschöpft wären, würde sich das Parlament wohl auch dazu durchringen», sagt Häberli. Und Germann betont, es sei eminent wichtig, dass kleinere Kantone wie Thurgau und Schaffhausen keine anderen Regelungen als Zürich hätten: «Die bedeutenden Anschlussschulen für unsere Kinder befinden sich in Zürich. Und dass die Zürcher dabei auf uns Rücksicht nehmen würden, ist eine irrige Annahme.»