Die Hacker begründen ihre Attacken auf Websites von Bund, Kantonen und Städten mit der Rede des ukrainischen Präsidenten Selenskis im Nationalratssaal. Gut kommt in der Stellungnahme der prorussischen Kriminellen die SVP weg, welche die Rede Selenskis nicht hören wollte.
Von Francesco Benini
Am Donnerstag um 14 Uhr hielt der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski per Videoschaltung eine Rede an die Vereinigte Bundesversammlung. Prorussische Hacker nehmen dies zum Anlass, um Websites der Bundesverwaltung, der Kantone und städtischer Behörden zu attackieren. Auch staatsnahe Betriebe wie die SBB und die Post waren betroffen. In einer Stellungnahme loben die Cyberkriminellen nun die SVP, deren Parlamentsmitglieder der Ansprache Selenskis fernbleiben werden.
Die Hacker brachten die Websites zum Absturz, indem sie die Systeme mit zahllosen, gleichzeitig verschickten Anfragen überlasteten. Daten wurden dabei aber keine gestohlen.
Volkspartei sieht die Gewaltentrennung verletzt
Auf dem Nachrichtendienst Telegram erklärte die Hackergruppe, die sich «NoName» nennt, ihren Angriff: Selenski wolle das Schweizer Parlament in einer Video-Ansprache um Geld anbetteln. Es sei bemerkenswert, dass sich «angemessene Schweizer» gegen das «wilde Verhalten» des ukrainischen «Noch-Präsidenten» stellten.
Die Cyberkriminellen verwiesen auf den Chef der Schweizerischen Volkspartei. Sie meinten den Fraktionspräsidenten Thomas Aeschi, der auf Twitter schrieb: «Die Ukraine versucht, direkt Einfluss auf den parlamentarischen Entscheid betreffend Waffen- und Munitionslieferungen zu nehmen. Unsere Neutralität wird verletzt!»
Aeschi erklärte auf Anfrage, dass die SVP keinerlei Kontakte zu den Hackern unterhalte. Die lobende Erwähnung der Volkspartei in der Stellungnahme von «NoName» wollte er nicht kommentieren.
Der Fraktionschef betonte, dass die Schwächung der Schweizer Neutralität nur einer der Gründe sei, warum die SVP-Parlamentarier der Rede Selenskis fernblieben. «Ebenfalls zu bedenken gilt es, dass die Gewaltentrennung verletzt wird», sagte Aeschi. Ein ausländischer Staatspräsident solle mit dem Bundesrat sprechen und sich nicht ans Parlament wenden. «Das ist nicht stufengerecht, das ist das falsche Format.»
Christoph Blocher betonte derweil auf «Tele Blocher», dass der britische Premierminister Winston Churchill nach dem Zweiten Weltkrieg bei seinem Besuch in der Schweiz in Bern und in Zürich gesprochen habe, aber nicht vor dem Bundesparlament aufgetreten sei. Das habe einer guten Ordnung entsprochen. Die SVP habe auch der Rede von Michail Gorbatschow im Jahr 2000 im Nationalratssaal nicht beigewohnt – weil das eben ein Stilbruch sei.
Die SVP scheiterte Anfang Monat klar mit einem Ordnungsantrag, wonach der Auftritt Selenskis im Nationalratssaal abgesagt werden solle: Das Begehren fiel mit 128 gegen 58 Stimmen durch. SP-Co-Präsident Cédric Wermuth warf der Volkspartei vor, sie betreibe «Cancel-Culture im Auftrag Moskaus.»
Germann bleibt im Saal
Letztlich blieben zwei Mitglieder der SVP im Saal. Einmal der Schaffhauser Ständerat Hannes Germann und auch der Berner Nationalrat Andreas Aebi sass im Nationalratssaal. «Ich sehe das als einen Akt des Anstands und des Respekts gegenüber eines Staatschefs an», begründete Germann seinen Entscheid, im Saal zu bleiben. Er respektiere aber jede andere Meinung, wie auch die seiner Fraktion.
Der Berner Aebi rechtfertigte sein Bleiben so: «Ich bin Präsident der parlamentarischen Delegation der OSZE. Als im vergangenen Frühling bei einem Treffen der OSZE fast alle Abgeordneten den Saal aus Protest gegen eine Wortmeldung des russischen Vertreters verliessen, blieb ich da. Also verliess ich auch heute den Saal nicht.»
Froh über die Rede des ukrainischen Präsidenten war er hingegen nicht: «Das ist die falsche Ebene. Was, wenn morgen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine Rede halten will?» Aus diesem Grund habe er auch nicht auf seinem Platz gesessen, sondern die Rede vom hinteren Teil des Saals angehört.
SP fordert Massnahmen gegen Russland
Die Attacken der prorussischen Hacker sorgen in der Volkspartei nun für Diskussionen. Nationalrat Lukas Reimann erklärte: Sollte sich herausstellen, dass staatliche russische Stellen beteiligt seien an diesen Aktivitäten, sei das als «militärischer Angriff auf die Schweiz» zu werten. «Dann muss die Eidgenossenschaft sich wehren und Gegenmassnahmen ergreifen.»
Dass der russische Staat involviert ist in die Cyberattacken, wird kaum nachzuweisen sein. Cédric Wermuth betonte, der Bund solle nun mit folgenden Mitteln reagieren: «Oligarchengelder sperren, Rohstoffhandel abstellen, humanitäre Hilfe für die Ukraine aufstocken.»
Die Bundesanwaltschaft hat wegen der Cyberattacken ein Strafverfahren eröffnet. Die Gruppe «NoName» endete ihre Stellungnahme zu den Angriffen in der Schweiz mit dem Ausruf: «Der Sieg wird unser sein!» Abgebildet war daneben die russische Flagge.