Schaffhauser Nachrichten: Schweiz tut sich schwer mit Freihandel

Trotz langer liberaler Tradition gelingt es der Schweiz zurzeit kaum, die eigene Wirtschaft zu öffnen.

von Michael Brunner

Bern – Vor knapp einem Jahr wollte der Bundesrat gegenüber der EU einseitig das Cassis-de-Dijon-Prinzip einführen. Ziel ist es, der Hochpreisinsel Schweiz ein Ende zu bereiten. Doch nun verzögert sich die Einführung, wie die Sonntagspresse berichtete. Grund: Die verschiedenen Bundesämter beantragen nicht weniger als 106 Ausnahmen vom Prinzip. So sollen etwa bei Velos in der Schweiz weiterhin höhere Sicherheitsstandards gelten. Hannes Germann, Schaffhauser SVP-Ständerat und Präsident der Kommission für Wirtschaft und Abgaben, hat für solche Ausnahmen wenig Verständnis: «Als Touristen in EU-Ländern verlassen wir uns auch darauf, dass deren Sicherheitsstandards genügen.» Zwar soll nun die Liste der Ausnahmen systematisch gekürzt werden. Aber Kritiker glauben bereits, dass der zuständige Bundesrat Joseph Deiss am Schluss wie beim gescheiterten Freihandelsabkommen mit den USA wieder mit leeren Händen dastehen könnte. Trübe Aussichten, denn auch das aufgegleiste Landwirtschafts-Freihandelsabkommen mit der EU dürfte noch einen steinigen Weg vor sich haben.

Diese Schwierigkeiten erstaunen auf den ersten Blick. Schliesslich predigen in der Schweiz die meisten Politiker internationalen Wettbewerb. «Viele sind im Grundsatz für Freihandel», sagt der Schaffhauser FDP-Ständerat Peter Briner. «Aber wenn dann im eigenen Bereich Wettbewerb geschaffen werden soll, sieht das leider oft anders aus.» Noch deutlicher wird der Schaffhauser FDP-Nationalrat Gerold Bührer: «Unheiligste Allianzen von Besitzstandwahrern aus allen politischen Lagern verhindern die Öffnung.» Und offenbar sei der Leidensdruck noch zu gering, als dass diese Gruppen ihre Position ändern müssten. Der Thurgauer CVP-Ständerat und Präsident der Aussenpolitischen Kommission, Philipp Stähelin, ist wie Bührer und Briner im Grundsatz für Freihandel. Trotzdem hat er für Widerstand Verständnis: «Wenn ein Land höhere Löhne und daraus folgend hohe Preise hat, sind Liberalisierungen immer eine problematische Sache.»

Am Prinzip festhalten
Doch Partikularinteressen sind nicht das einzige Problem, wenn es darum geht, Freihandel zu schaffen. Oft sind die Verhandlungen mit anderen Staaten schwierig. «Denn Aussenpolitik ist Interessenpolitik. Da geht es um ein Geben und Nehmen», sagt Stähelin. Darum stört es ihn, dass der Bundesrat das Cassis-de-Dijon-Prinzip einseitig einführen will. «Wir geben hier einen Trumpf aus der Hand, den wir in Verhandlungen mit der EU noch gebrauchen könnten.» Ähnlich reagiert Hannes Germann. Trotz dieser Schwierigkeiten bei der Schaffung von Freihandel will Peter Briner weiter kämpfen.

Er ist überzeugt, dass sich die Schweiz wirtschaftlich öffnen muss – und dass dies möglich ist. Briner hat mittlerweile hingenommen, dass höchstwahrscheinlich kein Freihandelsabkommen mit den USA mehr zu Stande kommt. Auch beim Landwirtschaftsabkommen mit der EU ist er eher skeptisch. Aber am Cassis-de-Dijon-Prinzip will er festhalten. Er erwartet, dass der Bundesrat dem Parlament bald eine Vorlage unterbreitet. Geschieht dies nicht, müsste das Parlament nochmals aktiv werden. Skeptisch ist Gerold Bührer. Die aktuelle Situation erinnert ihn stark an die Diskussion über das Freihandelsabkommen mit den USA. Germann hat ähnliche Befürchtungen und gibt sich trotzdem kämpferisch «Bundesrat Deiss kann das Vorhaben nicht beim ersten Widerstand fallen lassen. Da ist mehr Durchhaltewillen gefragt.»