Ob die Schweiz das Bankgeheimnis auch gegenüber Entwicklungsländern lockern soll, ist offen. Bisher wurde die Frage kaum diskutiert. Klar ist: Es stellen sich einige Probleme – von drohenden Verlusten für die Banken ganz zu schweigen.
von Michael Brunner
Bern: Es mag Zufall sein, symptomatisch ist es trotzdem: Gestern wurde im Nationalrat eine Motion auf unbestimmte Zeit vertagt, weil die vorherigen Geschäfte zu viel Zeit in Anspruch genommen hatten. Die Motion hätte den Bundesrat dazu verpflichten wollen, ein Konzept zur Gleichbehandlung von OECD-Staaten und Entwicklungsländern bei Doppelbesteuerungsabkommen zu erarbeiten. Die zentrale Frage: Sollen auch Entwicklungsländer von der Lockerung des Schweizer Bankgeheimnisses profitieren?
Doch während über andere Aspekte des Bankgeheimnisses heftig debattiert wird, haben sich mit dieser Frage bisher fast nur Spezialisten beschäftigt. Das sei keine Überraschung, sagt Nationalrätin Marlies Bänziger (GPS/ZH): «Die Schweiz reagiert nur auf Druck. Und Entwicklungsländern fehlt die Macht, um Druck zu machen.»
Derzeit 70 Abkommen
Im Herbst hatte der Bundesrat immerhin die Stossrichtung vorgegeben. Danach sollen sich auch Entwicklungsländer im Rahmen eines Doppelbesteuerungsabkommens Amtshilfe bei Steuerhinterziehung sichern können, aber nur, wenn sie dies explizit wünschen. Das geht den linken Parteien zu wenig weit, aus zwei Gründen: Erstens fürchten sie, dass Regierungen von solchen Ländern in den Verhandlungen für ein neues Doppelbesteuerungsabkommen nicht auf Amtshilfe bestehen. Schliesslich sei es oft deren eigenes Umfeld, das Geld in der Schweiz verstecke. Zweitens schliesse die Schweiz nur mit Ländern Doppelbesteuerungsabkommen ab, wenn sie selbst ein Interesse daran habe. Und das sei bei vielen Entwicklungsländern nicht gegeben, sagt Bänziger.
Gute Gründe
Tatsächlich bestehen heute nur Doppelbesteuerungsabkommen mit gut 70 der rund 200 existierenden Staaten. Für Bänziger ist es stossend, dass das Bankgeheimnis gerade arme Länder daran hindert, ihre Steuern einzuziehen. «Es macht keinen Sinn, Entwicklungshilfe zu leisten und gleichzeitig Geld zu entziehen.» Daher haben die Grünen einen Vorstoss eingereicht, der die Erteilung von Amtshilfe auch bei Steuerhinterziehung gegenüber allen Staaten verlangt. Ganz anders tönt es auf bürgerlicher Seite. Es gebe in vielen Staaten gute Gründe dafür, sein Geld ins Ausland in Sicherheit zu bringen. «Fällt man etwa in Russland politisch in Ungnade, droht man sonst alles zu verlieren», sagt der Schaffhauser SVP-Ständerat Hannes Germann. Ähnlich argumentiert der Solothurner CVP-Nationalrat Pirmin Bischof: «Wir können nur Rechtsstaaten Amtshilfe leisten.» Nur da wisse man, dass es wirklich um die Verfolgung von Steuersündern gehe. Es dürfe nicht sein, dass die Schweiz Simbabwe unter Diktator Robert Mugabe Amtshilfe leiste. «Aber eine einheitliche Regelung bringt nichts. Wir müssen den Fall jedes einzelnen Landes konkret anschauen.»
Nicht nur Banken warnen
Klar ist, dass es manchen Bürgerlichen gelegen kommt, wenn Entwicklungsländern keine Amtshilfe geleistet werden muss. Nur so können Schwarzgelder weiterhin ungestört auf Schweizer Banken lagern. Trotzdem sagt Viktor Parma, Buchautor zum Thema Bankgeheimnis und Journalist der linken «Wochenzeitung», dass ihre Argumente nicht einfach vorgeschoben seien. «Bringt etwa jemand aus Simbabwe Geld in die Schweiz, kann man schon fast davon ausgehen, dass er gute Gründe dafür hat und nicht einfach Steuern hinterziehen will.» Etwas anders urteilte gestern Mark Herkenrath vom Hilfswerkeverband Alliance Sud in einem Interview mit der «Basler Zeitung». Solche Negativargumente kämen vor allem aus Bankenkreisen. Die Mehrzahl der Entwicklungsländer funktioniere rechtsstaatlich und demokratisch.