Schaffhauser Nachrichten: Anfang vom Ende der bewährten Schweizer Neutralität

Soll die Schweiz in den UNO-Sicherheitsrat? Ja, kein Problem, sagt die Mehrheit der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats (APK-N), von einem skandalösen Entscheid spricht dagegen die SVP. Erstaunlich ist der Entscheid eigentlich nicht, fragwürdig dagegen schon.

von Hannes Germann

Der Grundsatzentscheid für eine Kandidatur der Schweiz in den Sicherheitsrat fiel mit 16 zu 6 Stimmen überaus deutlich aus. Er zeigt, dass der Bundesrat in seiner Absicht auf eine breite parlamentarische Abstützung zählen darf. Einzig die Vertreter der SVP haben dagegengehalten. Das ist nicht wirklich erstaunlich. Mehr zu denken geben muss, dass die Kommission mit praktisch gleicher Mehrheit (bei einer Enthaltung) beschloss, den Entscheid über eine Kandidatur in den UNO-Sicherheitsrat nicht einer Volksabstimmung zu unterstellen. Dem Volk scheint man dann doch nicht so recht zu trauen …

Da eine Kandidatur frühestens im Jahre 2022 in Frage kommt, könnte man getrost zur Tagesordnung übergehen. Doch allein auf die zeitliche Komponente abzustellen, wäre falsch. Es ist eine Weichenstellung, die eine vertiefte Debatte über die Auslegung und die Zukunft der bewährten Neutralität schweizerischer Ausprägung verdient. Jetzt, wo die Vorbereitungen anlaufen, sollte auch eine Grundsatzdebatte geführt werden. Auch darum ist die harsche Reaktion, wie sie die SVP getätigt hat, nicht nur zu begrüssen, sondern geradezu notwendig. Ein Sitz im Sicherheitsrat wäre mit der Neutralität schweizerischer Ausprägung nicht vereinbar und würde die Tradition der Guten Dienste in Frage stellen. Ebenso skandalös ist es, dass nach dem Beschluss der Kommission das Volk nichts zu einem solchen Beitritt zu sagen haben soll. Man hat doch dem gleichen Volk im Vorfeld der Abstimmung vor zehn Jahren gebetsmühlenhaft versichert, man wolle ja nur den Vollbeitritt zur UNO, keinesfalls aber in den Sicherheitsrat. Tatsächlich schafft die UNO über das Instrumentarium des Sicherheitsrates eine Art Sonderrecht für die Mächtigen: Die fünf ständigen Mitglieder, mit einem Vetorecht ausgestattet, setzen Macht vor Recht. Der Sicherheitsrat ergreift Partei, verhängt Boykotte und ist verantwortlich für militärische Interventionen. Daher wäre es für die neutrale Schweiz ein grosser Fehler, selber im UNO-Sicherheitsrat mitzuwirken. Das machte den weltweit geschätzten, einzigartigen Kleinstaat mit seiner immerwährenden bewaffneten Neutralität, den Sonderfall Schweiz, plötzlich zum ganz gewöhnlichen Kleinstaat mit dem menschlichen Drang, doch auch einmal im Konzert der Mächtigen dabei zu sein. Aus dieser Sicht kommt der Entscheid für mich nicht unerwartet. Aber mit Verlaub: Unklug ist er dennoch. Er läuft der Tradition der Willensnation Schweiz zuwider. Mit Machtgehabe und Einmischung in fremde Händel haben wir nur schlechte Erfahrungen gemacht. Politisch heisst das für mich, dass wir uns noch stärker auf die Kernbereiche Neutralität und Unabhängigkeit fokussieren müssen. Das Problem mit der Neutralität wäre zu umgehen, indem man sich im Sicherheitsrat bei Abstimmungen konsequent der Stimme enthielte, wofür man sich jedoch kaum in dieses Gremium wählen lässt. Zudem wäre eine generelle Enthaltung weder theoretisch noch praktisch wirklich möglich. In ihrer zweijährigen Amtszeit würde die Schweiz den Rat mindestens einmal während eines Monats präsidieren (Rotationsschema), was eine passive Haltung ausschliesst. Ganz abgesehen von der praktischen Frage, wer denn die Kompetenz hätte, mit seinem Entscheid die Meinung des Schweizervolkes im Sicherheitsrat einzubringen. Darum tun wir wohl gut daran, uns die kritischen Fragen zu stellen, im Wissen darum, was auf dem Spiel steht.
Hannes Germann, Ständerat des Kantons Schaffhausen (SVP)