Am Wochenende einigten sich die Finanzminister der sieben grössten Wirtschaftsnationen auf eine globale Mindeststeuer für grosse Konzerne. Da sie höher liegt als in Schaffhausen und anderen Kantonen, könnten die Unternehmenssteuern wieder steigen.
Reto Zanettin
SCHAFFHAUSEN. «Wir sind auch ganz schön stolz auf Olaf», liess die SPD-Parteiführung unter Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans am letzten Samstag auf Twitter verlauten. Ihr Kanzlerkandidat, Olaf Scholz, sowie die anderen Finanzminister der sieben grössten Wirtschaftsnationen haben sich auf eine weltweite Mindeststeuer von 15 Prozent auf Gewinne von grossen internationalen Unternehmen mit mehr als 750 Millionen Euro verständigt. Damit wollen sie dem Steuerdumping einen Riegel schieben. Scholz selbst twitterte: «Das ist eine sehr gute Nachricht für die Steuergerechtigkeit und die Solidarität, und eine schlechte Nachricht für Steueroasen in aller Welt.» Konzerne wie Google oder Facebook wären nicht mehr in der Lage, sich ihrer Steuerpflicht zu entziehen, indem sie ihre Gewinne geschickt in Länder mit tiefen Steuersätzen verschöben. Diese Euphorie teilt Christoph Schaltegger, Professor für politische Ökonomie an den Universitäten Luzern und St. Gallen, nicht. Gegenüber dem Schweizer Radio und Fernsehen sagte er: «Die G7-Staaten, die grossen Staaten, haben eine Interessengemeinschaft.» Für sie sei es eine gute Nachricht, da sie in der Regel einen relativ hohen Gewinnsteuersatz hätten. Weniger rosig sehe es für kleine Länder wie die Schweiz aus – «die in der Regel etwas tiefere Gewinnsteuersätze haben». Kantone, die sich wettbewerbsfähig gemacht und Steuersätze reduziert hätten, kämen unter Druck und müssten ihre Steuern erhöhen. Die Kantone Schaffhausen und Thurgau haben ihre Gewinnsteuersätze auf unter 15 Prozent gesenkt.
Angesichts dessen stellt sich die Frage: Was sagen die Schaffhauser Bundesparlamentarier zum G7-Entschluss?
«Mehr Steuergerechtigkeit»
Nicht glücklich über den G7-Entscheid ist Ständerat Hannes Germann (SVP). Aber die Schweiz müsse ihn zur Kenntnis nehmen. Dies, nachdem es in der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, schon lange Bestrebungen in diese Richtung gegeben habe. SVP-Nationalrat Thomas Hurter sagt: «Es geht um Machtpolitik, doch mit Machtpolitik sollte man nicht Standortpolitik betreiben.» Seine Ratskollegin, SP-Politikerin Martina Munz, begrüsst den G7-Beschluss. Es gehe nicht an, dass sich Grosskonzerne zulasten der Ärmsten dieser Welt bereicherten – «und wir alle auch noch davon profitieren». Besonders erfreut zeigt sich Munz, dass auch die USA unter Präsident Joe Biden mitziehen.
Positives kann auch Germann der Mindeststeuer abgewinnen: «Sie würde zumindest für mehr Steuergerechtigkeit sorgen.» Konzerne wie Google und Facebook könnten sich heute praktisch jeder Unternehmenssteuer entziehen, indem sie nach Steueroasen wie Irland, den US-Bundesstaat Delaware oder extraterritoriale Gebiete auswichen. Das sei sehr störend. Indes seien 15 Prozent zu hoch. «10 Prozent wären als Minimum angemessen. Das würde auch den Kantonen besser entgegenkommen. Nun aber haben sie Handlungsbedarf.» Zwar liege der Unternehmenssteuersatz im Kanton Schaffhausen zurzeit unter 15 Prozent, räumt Munz ein. «Doch wir unterliegen einer falschen Wahrnehmung: Auch 15 Prozent sind sehr tief.»
Für Schlimmer als die Mindestbesteuerung am Unternehmenssitz hält Germann die Besteuerung in den Absatzmärkten, welche nun auch von den G7 und nicht mehr nur von der OECD vorangetrieben würde. «Diese Besteuerung nach Umsatz wirkt wie eine zusätzliche Mehrwertsteuer. Am Ende bezahlen die Konsumenten, was unfair ist. Das hat nichts mit Steuergerechtigkeit zu tun.» Dagegen müsse sich die Schweiz wehren. Martina Munz hält dagegen fest: «Konzerne überbürden den Konsumentinnen und Konsumenten immer ihre Steuerlast.» Die Besteuerung in den Absatzmärkten werde den Menschen im globalen Süden nicht gerecht.
Kampf um Steuereinnahmen
Für Thomas Hurter, Schaffhauser SVP-Nationalrat zeigt der G7-Beschluss, dass ein Kampf um Steuereinnahmen läuft. Gerade die grossen Staaten liessen nichts unversucht, damit sie profitieren. «Die USA beispielsweise treiben dieses Machtspiel an, obwohl sie sich selbst nicht an fairen Steuerwettbewerb halten.» Wie Germann spricht auch Hurter den US-Bundesstaat Delaware an. Dort haben sich zahlreiche Grossunternehmen niedergelassen. Manches ist steuerfrei: Erträge aus Patenten, Markenrechten oder anderen Immaterialgüter etwa.
«Die Unternehmen sollen ihre Steuern dort bezahlen, wo sie ihren Gewinn erwirtschaften», hält Munz fest. «Das Verlagern von Gewinnen innerhalb grosser Konzerne führt uns langfristig in massive soziale Probleme.» Im Norden könnten Gewinne für ein Butterbrot versteuert werden, während der globale Süden ausgebeutet werde. Diesen Ländern fehlten dann die Mittel für ihr Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen sowie ihre Infrastruktur, wodurch sich die Not der Menschen zementiere. «Am Ende stehen sie als Flüchtlinge vor unseren Türen. Das ist nicht nachhaltig und keine Basis für nachhaltigen Wohlstand, an dem alle Menschen teilhaben können.»
Wie weiter?
Noch ist unklar, wie die Mindeststeuer konkret ausgestaltet wird. Eines aber sei sicher, sagt Hurter: «Wir – die Schweiz und besonders der Kanton Schaffhausen – sind korrekt unterwegs und halten uns im Gegensatz zu anderen Ländern an die Regeln eines fairen Steuerwettbewerbs.» Gerade mit der Steuer-AHV-Reform (Staf) habe man die OECD-Vorgaben mustergültig umgesetzt. Das Schweizer Steuersystem unterscheide sich von anderen. «Zum Beispiel habe wir sehr hohe Umwelt- und Energieabgaben, leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe, Benzinzölle et cetera, die ebenfalls an den Mindestsatz angerechnet werden sollten.» Das solle die Schweiz gegenüber den G7 aufzeigen. Dann bestehe eine Chance auf eine gute Lösung.
«Mit der Mindestbesteuerung wird sich die Schweiz arrangieren können», sagt Germann. «Wir könnten Steuerabzüge zulassen, ähnlich wie wir das bei der Steuer-AHV-Reform 2019 eingeführt haben.» Mit der Staf wurden etwa zusätzliche Steuerabzüge für Forschung und Entwicklung möglich, womit der Bundesrat die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft der Schweizer Wirtschaft stärken wollte. Im Weiteren könnte die kantonale Wirtschaftsförderung den Unternehmen ausgleichende Vorteile zur Verfügung stellen. «Es gibt genügend Spielraum, um die Standortattraktivität zu erhalten. Der Standortwettbewerb liefe dann nicht mehr primär über die Steuern, sondern vermehrt über andere Standortfaktoren.» Solche führt Martina Munz ebenfalls ins Feld. «Wir haben beispielsweise gut ausgebildete Arbeitskräfte und eine hohe Lebensqualität.»
Die Frage stellt sich, ob eine weitere Unternehmenssteuerreform auf die Schweiz zukommt, nachdem die Unternehmenssteuerreform III gescheitert und erst 2019 der Kompromiss aus Steuer- und AHV-Reform eine Mehrheit aus Bürgerlichen und Sozialdemokraten überzeugen konnte. Germann wagt keine Prognose. Es sei schwierig zu sagen. «Bestimmt sollten wir jetzt nicht überschiessen, sondern zuerst einmal beobachten, wie sich die Lage entwickelt.» Als Kleinstaat müsste die Schweiz eine Lösung finden, die international kompatibel und für den Wirtschaftsstandort hinnehmbar sei. Jedenfalls dürften Schweizer Unternehmen keine Nachteile erleiden.
Die Schweiz werde die nötigen Massnahmen ergreifen, um weiterhin «ein hoch attraktiver Wirtschaftsstandort zu sein», teilt Tina Laubscher, Mediensprecherin des eidgenössischen Finanzdepartements mit. Dabei gehe es nicht nur um Steuern, sondern um das «Gesamtpaket der wettbewerbsfähigen Rahmenbedingungen.» Vorerst sollen die G20, eine umfassender Gruppe führender Wirtschaftsnationen, für die Mindeststeuer gewonnen werden.
Was der Kanton zur Mindeststeuer sagt
Im Kanton Schaffhausen, wo die Unternehmenssteuer im Rahmen der Steuer-AHV-Reform gerade erst gesenkt wurde und aktuell bei 13,94 Prozent liegt, ist man nicht erfreut über die Weichenstellung der G7. «Es ist klar, dass auch global agierende Unternehmen und Konzerne ihren Teil an die Staatshaushalte zu leisten haben», schreibt Regierungsrätin Cornelia Stamm Hurter (SVP) in ihrer Stellungnahme. Es sei jedoch eine Frage des Masses. Aus Sicht des Kantons wäre eine tiefere Mindestbesteuerung als der nun anvisierte Prozentsatz hinsichtlich Wachstum und Wohlstand erfolgversprechender.
Wie Stamm Hurter weiter schreibt, habe sich die Diskussion bis vor Kurzem bei der globalen Mindest- besteuerung um einen Satz von 12 bis 12,5 Prozent gedreht. «Wenn der Mindeststeuersatz nun bei 15 Prozent zu liegen kommen soll, stehen die Schweiz und gerade auch der Kanton Schaffhausen vor einer nicht zu unterschätzenden Herausforderung.»
Komfortablere Lage
Etwas gelassener klingt die Stellungnahme aus dem südlichen Nachbarkanton. Dort beläuft sich der Unternehmenssteuersatz auf aktuell 19,7 Prozent. Der Kanton Zürich stehe dieses Mal nicht an vorderster Front der besonders herausgeforderten Kantone, schreibt Roger Keller, Kommunikationsbeauftragter der Finanzdirektion auf Anfrage. «Aus Sicht von Regierungsrat Ernst Stocker (SVP) geht es jetzt aber nicht um eine Diskussion, für welche Kantone die Situation nun etwas besser oder allenfalls etwas schlechter ist.» Dies umso mehr, als noch sehr viele Fragen offen seien.
Laut der Zürcher Finanzdirektion ist massgebender, dass die Schweiz als Land herausgefordert ist und alles tun müsse, um den Unternehmen klare, international akzeptierte Bedingungen zu bieten. Sollte dies nicht gelingen, würden alle Kantone darunter leiden, sowohl die Geber wie die Nehmer im Finanzausgleich. Priorität hätten bei allen Betrachtungen deshalb nicht einzelne Kantone, sondern die Schweiz «als international anerkannt hervorragender Unternehmensstandort». Deshalb sei zurzeit auch der Bund im Lead. «Die Kantone werden sich aber selbstverständlich ebenfalls einbringen, wenn Genaueres bekannt ist, und sie werden eine Arbeitsgruppe bilden, die sich der Thematik annimmt», schreibt Keller.
Neid und Begehrlichkeiten
Der Schaffhauser Standortförderer Christoph Schärrer hat diese Entwicklung erwartet. «Leider», schreibt er. Die hohe Standortattraktivität der Schweiz und des Kantons Schaffhausen wecke Neid und Begehrlichkeiten. Bei der globalen Mindeststeuer gehe es nur vordergründig um eine gerechtere Verteilung von Steuergeldern. «Von einem globalen Mindeststeuersatz profitieren nämlich in erster Linie grosse Volkswirtschaften.» Schärrer sieht kleinere innovative und exportorientierte Volkswirtschaften mit einer hohen Lebensqualität – wie die Schweiz – unter Druck. Allerdings sind die Steuern nicht der einzige entscheidende Faktor. «Die Wirtschaftsförderung misst den weichen Standortfaktoren seit jeher eine hohe Bedeutung zu», schreibt Schärrer weiter. «Wir positionieren den Kanton Schaffhausen als Anwendungsregion für zukunftsorientierte Technologien an der Schnittstelle von Industrie und Digitalisierung.» Wichtiger denn je seien hierfür eine wirtschaftsfreundliche Politik und ein innovatives Umfeld mit Räumen für Experimente und unternehmerische Ideen. (rli)