von Hannes Germann
Geld macht nicht glücklich, aber unabhängig. So oder ähnlich lautet eine gängige Redensart. Sie mag sogar zutreffen. Was die grosse Flutwelle in Südasien der Menschheit kurz nach Weihnachten beschert hat, relativiert freilich vieles. Die Natur hat uns einmal mehr gezeigt, dass sie stärker ist. Auch nicht mit noch so grossem finanziellem Aufwand lassen sich solche oder andere Naturkatastrophen je gänzlich abwenden. Wir Menschen, ob arm oder reich, mussten einmal mehr zur Kenntnis nehmen, wie hilflos wir den Gewalten einer höheren Macht ausgesetzt sind.
Die Gedanken sind auch 20 Tage nach der Katastrophe bei den über 150 000 Opfern und deren Familien. «Wir verneigen uns vor den Toten», hat Bundespräsident Samuel Schmid am nationalen Trauertag ebenso eindrücklich wie staatsmännisch gesagt. Dabei ist allen klar geworden, dass vor allem die Hinterbliebenen, die überlebenden Opfer der Katastrophe unsere Hilfe brauchen. Eine beispiellose globale Sammelkampagne ist angelaufen. Sie hat Hilfsorganisationen Rekordsummen in ihre Kassen gespült. Man wollte helfen, und wohl jeder und jede hat das Mögliche getan. Wir sind also noch fähig, Gefühle zu zeigen, ja Solidarität zu leben. Hut ab vor den vielen Menschen, die in aller Stille und Bescheidenheit gespendet und damit geholfen haben!
Das ist das erfreuliche erste Fazit aus dieser Tragödie. Doch tun wir in unserer schnelllebigen Zeit gut daran, nicht zu rasch wegzusehen. Denn wir sollten nicht vergessen, dass das gespendete Geld, mit dem man doch direkt den Not leidenden Menschen helfen wollte, erst zu einem verschwindend kleinen Teil den überlebenden Opfern zugute gekommen ist. Die mit Geld überschwemmten Hilfswerke – weltweit sind total 3,8 Milliarden Dollar (über 25 000 Dollar pro Opfer!) zugesichert worden – sehen sich mit gewaltigen Herausforderungen konfrontiert. Wo können die Mittel wie eingesetzt werden? Wo ist Soforthilfe möglich, wo ein längerfristiges Engagement angezeigt? Wie kann verhindert werden, dass das Geld in falsche Hände gerät? Wir wissen: Wo Geld im Überfluss vorhanden ist, besteht die Gefahr von unzweckmässiger Verwendung, ja von Missbrauch.
Damit ist nicht in erster Linie der zu hohe administrative Aufwand gemeint, der bei gewissen Hilfsorganisationen über 50 Prozent beträgt. Aus vergangenen Sammelaktionen weiss man, dass der grösste Teil der Gelder oft Jahre nach der «spontanen Soforthilfe» noch immer auf Konten unserer Banken ruhen. Dort sind sie zwar sicher. Aber ist das nicht ein Missbrauch des Spenderwillens? Für die Hilfswerke und für uns alle ist zu hoffen, dass die Mittel rasch und zukunftsweisend eingesetzt werden können.
Apropos Missbrauch: Es gibt keine noch so grosse Tragödie, ohne dass sich Leute am Leid anderer bereichern können. Die einem mit Kinderhandel, die anderen, indem sie Wohnungen von Opfern plündern. Fragwürdig und falsch sind aus meiner Sicht auch reine Prestigeobjekte beim Wiederaufbau. Auf mich wirkt zudem das Spenden-Wettrüsten einzelner Staaten (medienwirksam publiziert in Ranglisten) abstossend. Sogar widerlich ist der Umstand, dass diese sich dann später – fernab vom grossen Medienrummel – nicht mehr an ihre Zusagen erinnern wollen. Eine reine Befürchtung? «Mitnichten!», sagt auch Deza-Chef Walter Fust: «Das ist leider immer wieder eine traurige Tatsache.» Bleiben wir also wachsam und offen. Offen auch für jenes Leid, das sich tagtäglich fernab vom Hotspot der medialen Realität abspielt. Denn seit wir sammeln, sind in dieser Welt mindestens so viele Menschen an Hunger oder Krankheiten wie Aids gestorben. In aller Stille. Ohne Hilfe. Ohne Solidarität der Weltgemeinschaft.