[Schaffhauser Nachrichten] Minder stellt sich gegen den Bundesrat

Der Schaffhauser Ständerat Thomas Minder will mit einer Motion verhindern, dass der Bundesrat das Rahmenabkommen mit der EU unterzeichnet. Im Ständerat stösst das allerdings auf wenig Verständnis.

Anna Kappeler

Der Schaffhauser Ständerat Thomas Minder (parteilos) gestern im Stöckli. BILD KEY
Der Schaffhauser Ständerat Thomas Minder (parteilos) gestern im Stöckli. BILD KEY

BERN. Nach jahrelangen Verhandlungen hat der Bundesrat das Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU am Freitag ­veröffentlicht. Doch statt dazu klar Ja oder Nein zu sagen, hat er es in die Konsultation ­geschickt. Das ärgert Ständerat Thomas ­Minder (parteilos/SH). Deshalb hat Minder jetzt eine Motion eingereicht, in welcher der Bundesrat beauftragt wird, das Institutionelle Abkommen (InstA) nicht zu unterzeichnen.

Als Begründung für seinen Vorstoss sagt Minder: «Der Bundesrat war mutlos mit seinem Nichtentscheid. Da er sich um eine klare Ansage gedrückt hat und stattdessen so etwas wie eine inoffizielle Vernehmlassung eröffnet hat, liegt es halt nun am Parlament, Stellung zu beziehen.» Für Minder ist klar, dass das ­InstA «einfach zu viele negative Punkte» habe und man es deshalb «unbedingt ablehnen» müsse. Minder: «Ich zwinge das Parlament, offiziell Stellung dazu zu nehmen.» Er persönlich fordere den Übungsabbruch. Und: «Dazu brauche ich den Bundesrat nicht.»

Minder: «Grob fahrlässig» und «fatal»

In der Motion, die voraussichtlich in der Frühlingssession in den Ständerat kommt, listet Minder 14 Punkte auf, warum er für ein Nicht-Unterschreiben eintritt. Punkt 1 etwa lautet: «Die Unterzeichnung eines Rahmen­abkommens ist ein weiterer und bedeuten- der Schritt in Richtung EU-Mitgliedschaft.» Weiter sei die «vorgesehene dynamische Rechtsübernahme äusserst problematisch». Dass die Übernahme der Unionsbürgerricht­linie nicht ausgeschlossen werde, ist für Minder zudem «grob fahrlässig». Auch die Verkürzung der Voranmeldefrist auf vier Tage (heute sind es acht) erwähnt Minder als «fatal».

Dazu sagt Thomas Minder: «Da sich sowohl die SVP wie auch die Gewerkschaften und mit ihre weite Teile der Linken gegen das InstA stellen, ist es im Parlament kaum mehrheitsfähig.»

Das sieht zwar auch Minders Ständeratskollege Hannes Germann (SVP/SH) so. Doch Germann, der wie Minder in der Aussenpolitischen Kommission (APK) sitzt, sagt auch: «Die Motion Minder braucht es nicht.» Dies, weil das Geschäft ohnehin ins Parlament kommen würde. «Falls der Bundesrat das InstA unterzeichnet, wird er eine Botschaft verabschieden, die dann ohnehin vom Parlament ratifiziert werden muss.» Germann will dem Bundesrat nicht die Möglichkeit nehmen, nachzuverhandeln. «Aussenminister Cassis will offenbar schauen, ob es noch Spielraum gibt. Pferdefüsse wie die Unions-bürgerricht­linie oder den Lohnschutz wird er zwar wohl nicht wegbringen. Aber vielleicht schafft er ja noch ein Wunder.»

«Motion ist unnötig»

Dass die Motion Minder zur Unzeit kommt, findet auch Ständerat Andrea Caroni (FDP/AR). Der Text zum InstA werde erst im Januar übersetzt und erläutert. «Dann geht es los mit der detaillierten Meinungsbildung. Ich sehe nicht ein, warum wir uns also schon im März verbindlich dazu äussern sollten», sagt Caroni. «Zudem ist die Motion unnötig, weil wir im Parlament ja ohnehin früher oder später dazu Stellung nehmen werden.» Deshalb werde er dem Vorstoss von Kollege Minder nicht zustimmen.

Ebenfalls nicht zustimmen wird APK-­Mitglied und CVP-Ständerätin Anne Seydoux-Christe. Auch für sie ist der Zeitpunkt des Vorstosses falsch. Grundsätzlich sei der Schweizer Lohnschutz zwar eine rote Linie. «Gleichwohl hoffe ich noch immer, dass wir mit der EU eine Lösung finden.» Das werde nicht morgen sein, aber hoffentlich bald. Denn klar sei: «Je länger wir warten, desto teurer wird das Abkommen für uns.»

Brüssel will Börsenäquivalenz sechs Monate verlängern

Offiziell gibt sich die EU-Kommission zugeknöpft: Es habe zwar eine Diskussion im Kollegium der EU-Kommissare zur Schweiz stattgefunden, sagte Chefsprecher Margaritis Schinas gestern in Strassburg. Eine Entscheidung, wie es in Sachen Börsenanerkennung weitergehen soll, sei aber noch nicht gefallen.

Hinter vorgehaltener Hand ist aber klar: Die Gleichwertigkeitsanerkennung der Schweizer Börse soll um sechs Monate verlängert werden. Dies bestätigten gestern mehrere EU-­Quellen gegenüber dieser Zeitung. «Die politische Entscheidung ist ge­fallen», so ein EU-Diplomat. Der offizielle Beschluss werde voraussichtlich am Montag kommen, die Koordinierung der Mitgliedstaaten sei bloss noch «Formsache» und bereits vorbereitet.

Der Grund für die Verzögerung liegt darin, dass man die am Donnerstagabend stattfindenden Brexit-Gespräche im Rahmen des EU-Gipfels nicht irritieren will. Immerhin erhofft sich auch das Vereinigte Königreich nach dem Brexit über die sogenannten Äquivalenz-Erklärungen Zugang zum EU-Finanzmarkt.

Mit der Begrenzung auf sechs Monate orientiert sich die EU-Kommission an der Konsultation des Bundesrates zum institutionellen Rahmenabkommen, die voraussichtlich bis Anfang April dauern wird. Die Landesregierung will in dieser Zeit die Meinungen der Sozialpartner und der Aussenpolitischen Kommissionen des Parlaments einholen und Wege ausloten, um die innenpolitische Blockade zu überwinden. Der jetzige Aufschub sei eine «letzte Geste des guten Willens», beschreibt es ein Brüsseler Gesprächspartner. Die Rede ist auch von einer «Gnadenfrist» aus Respekt vor den politischen Prozessen in der Schweiz. So oder so: Nachverhandlungen werde es auch nach der Konsultation keine geben. «Das Abkommen, wie es jetzt vorliegt, ist zu Ende verhandelt», heisst es.

Dass die Schweiz die Anerkennung der Börse übers Jahresende hinaus bekommt, war nach dem Nichtentscheid des Bundesrates zum Rahmenabkommen vom vergangenen Freitag alles andere als sicher. Der Bundesrat blieb die «positive Würdigung des ­Verhandlungsergebnisses» schuldig, die EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in einem Telefon­gespräch mit Bundespräsident Alain Berset kurz vor der Pressekonferenz in Bern noch gefordert haben soll.

Im Gegenteil: Als «kontraproduktiv» wurde der Auftritt von Aussenminister Ignazio Cassis wahrgenommen, der den Abkommensteil zu den flankierenden Massnahmen als «Vorschläge der EU» und nicht als gemeinsames Vertragswerk bezeichnet hat. EU-Kommissar Johannes Hahn habe sich am 23. November eigens mit Cassis in Zürich getroffen, um solche Überraschungen auszuschliessen, ist in Brüssel zu hören. Schweizer Stimmen hingegen sprechen von einem «Missverständnis». Es sei von Anfang an klar gewesen, dass über die flankierenden Massnahmen nicht verhandelt würde, da diese als «rote Linie» im Verhandlungsmandat ausgeklammert seien. Insofern könne hier auch nicht von einer Einigung die Rede sein. Die EU-Kommission verknüpft die Anerkennung der Schweizer Börse seit einem Jahr mit dem Abschluss des Rahmenabkommens. Wird die Börsenäquivalenz nicht verlängert, drohen EU-Händler und Investoren vom Schweizer Aktienmarkt ausgesperrt zu werden. Über die Wirksamkeit der Schweizer Gegenmassnahmen, die der Bundesrat am 8. Juni ankündigte und Ende November in Kraft setzte, gehen die Meinungen auseinander.

Erste Reaktionen aus der Schweiz fallen durchzogen aus. Elisabeth Schneider-Schneiter (CVP/BL) erachtet eine sechsmonatige Verlängerung als «klares Zeichen der EU, der Schweiz entgegenzukommen». Nach dem Nichtentscheid des Bundesrates sei sie davon ausgegangen, dass es keine Verlängerung gebe, so die Präsidentin der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates. Weniger positiv äussert sich der Zürcher FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann. Die «Galgenfrist» schaffe nochmals sechs Monate Unsicherheit, zumal die Schweiz eigentlich Anspruch auf eine unbe­fristete Gleichwertigkeitsanerkennung habe, so Portmann. (Remo Hess)