Unterschiedlicher könnten die Einschätzungen der Schaffhauser Vertreter und der einzigen Vertreterin im Bundeshaus nicht sein: Während von Thomas Hurter und Hannes Germann Beifall für den Bundesrat kommt, macht sich Martina Munz grosse Sorgen um Nachteile für die Schweiz.
Dario Muffler
SCHAFFHAUSEN. Nun wurde das institutionelle Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU also beerdigt. Der Bundesrat möchte das vorliegende Verhandlungsergebnis nicht unterzeichnen, zu gross seien die Differenzen, teilte der Bundesrat gestern mit (siehe Haupttext). Das Ende der seit nun sieben Jahre dauernden Odyssee löst bei den Schaffhauser Parlamentariern gemischte Gefühle aus. Eine Hiobsbotschaft nennt SP-Nationalrätin Martina Munz den Entscheid des Bundesrats. Sie sagt: «Die Wirtschaft braucht weiterhin eine gute Zusammenarbeit mit der EU.»
Munz ist besonders um den Forschungs- und Hochschulstandort Schweiz besorgt. Konkret denkt sie dabei ans Forschungsabkommen Horizon Europe, bei dem die Schweiz nur als Drittstaat teilnehmen soll. «Der hiesige Forschungsstandort hat bereits eingebüsst und wird jetzt an Bedeutung verlieren.» Der Bundesrat kündigte gestern an, dass man den politischen Dialog weiterführen und Verträge punk- tuell schweizseitig ans EU-Recht anpassen wolle. Dass die EU sich deshalb darauf einlasse, die Schweiz lediglich bei von ihr ausgewählten Abkommen mitmachen zu lassen, bezweifelt Munz aber. «Aus Sicht der EU kann ich nachvollziehen, dass sie keine Rosinenpickerei will.»
Munz will Cassis weghaben
Der für das Europa-Dossier verantwortliche Bundesrat Ignazio Cassis (FDP) kritisierte an der gestrigen Medienkonferenz in Bern, dass die EU das Rahmenabkommen mit sachfremden Geschäften wie beispielsweise dem Forschungsprogramm verknüpfe. Hätte die Schweiz dem Erpressungsversuch der EU also nachgeben sollen? «Was heisst hier erpressen?», fragt Munz. Die Nationalrätin ist überzeugt: «Bundesrat Cassis hat die Verhandlungen nicht gut geführt.» Nun müssten sich die konstruktiven europapolitischen Kräfte zusam- mentun und einen Neuanfang wagen. «Ich fordere, dass dafür neue Köpfe eingesetzt werden.» Das heisst übersetzt: Cassis muss weg.
Diametral entgegengesetzt ist die Stimmung des Schaffhauser Ständerats Hannes Germann (SVP). «Für die direkte Demokratie ist heute ein Freudentag», sagt er. Der Verhandlungsabbruch sei keine Überraschung, sondern nur die logische Konsequenz der Entwicklungen gewesen. «Wir konnten das schwarze Loch namens Unionsbürgerrichtlinie glücklicherweise umgehen», sagt Germann. Dass die EU nun Retorsionsmassnahmen ergreife, damit müsse man rechnen. Doch die negativen Seiten des Rahmenabkommens hätten viel schwerer gewogen. «Es kann doch nicht sein, dass wir schlechter behandelt werden als Drittstaaten, obwohl wir uns grundsätzlich auf dem Weg einer Annäherung befinden», sagt Germann und spricht dabei die von der EU angedrohte Rolle der Schweiz im bereits erwähnten Forschungsprogramm Horizon Europe an.
Beidseitige Abhängigkeiten betont
Dass es zu einem Bruch mit der EU komme, glaubt Germann hingegen nicht. Zumal die über 100 bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der EU, sagt der Ständerat, noch immer gültig seien. Nun ändere sich dort gar nichts. «Durch diese enge Verknüpfung ist es weder im Interesse der EU noch der Schweiz, dass sich die Situation verschlechtert.» Deshalb ist Germann auch überzeugt, dass man in den wichtigsten Bereichen pragmatische Lösungen finden werde. Dass es bis dorthin für einige Branchen herausfordernd werden könnte, bestreitet er nicht.
Von einer Lösung überzeugt ist auch der Schaffhauser SVP-Nationalrat Thomas Hurter. «Ich finde es gut, dass das ewige Hin und Her nun beendet ist», sagt er. Für den Verkehrs- und Sicherheitspolitiker gehört ein Scheitern zu Verhandlungen, wie er sagt. «Irgendwann muss man einen Entscheid fällen.» Deshalb sei die Absage an Brüssel eine gute Nachricht.
Angesprochen auf den Vorwurf seiner Nationalratskollegin Munz, die Schweiz habe nur die Rosinen gewollt, entgegnet Hurter: «Hoffentlich sind wir Rosinenpicker.» Man müsse aufhören, immer zu erklären, weshalb der Verhandlungspartner – im konkreten Fall die EU – etwas nicht wolle. «Wir müssen die Interessen unseres Landes hart verteidigen.»
Der zweite Schaffhauser Ständerat, Thomas Minder (parteilos), war für eine Stellungnahme für die SN gestern nicht zu erreichen.