Schaffhauser Nachrichten: Seismische Messungen lassen die Leute kalt

Die Nagra führte in Löhningen seismische Messungen durch und hatte wie auch der Verein Klar! am Samstag an der Dorfstrasse einen Informationsstand aufgebaut. Das Interesse der Bevölkerung war ziemlich gering.

Am Dorfeingang ein Mann von der Nagra, leicht zu erkennen am giftigen Signalgelb, der Schreibende denkt: «Klar, ein Grossaufmarsch von Interessierten, die eingewiesen werden müssen. Aber so war es nicht. Am Infostand im kühlen Schatten vor dem Volg finden wir um 10 Uhr morgens zwar eine Traube Leute, aber viele sind es nicht, und auch am Stand des Vereins Klar! auf der anderen, der im strahlenden Sonnenschein liegenden Strassenseite ist ausser den paar Aktivisten kaum jemand.

Standortwahl auf hohem Niveau
Die Chemikerin Jutta Lang ist für die Nagra im Bereich Öffentlichkeitsarbeit tätig und erklärt, dass frühestens im Jahr 2035 – gemäss dem «optimistischen Zeitplan des Bundesamtes für Energie» – im Südranden ein Tiefenlager für mittel- und schwach radioaktive Abfälle in Betrieb genommen werden könnte. Ein solches Tiefenlager sei eine «endgültige Lösung nach bestem Wissen und Gewissen und entsprechend dem Stand der Möglichkeiten. Die Methode ist weltweit anerkannt.» Sie spricht vom breit abgestützten Verfahren in der Schweiz, wo man sechs mögliche Standorte evaluiere und auf «einem sehr hohen Niveau» auswählen könne. «In Deutschland», so Jutta Lang weiter, «schaut man relativ fasziniert auf das Vorgehen der Schweiz, wo man versucht, die Abfälle im Einvernehmen mit der Bevölkerung zu entsorgen.» Am Stand des Vereins Klar! verabschiedet sich gerade ein Ehepaar, das sich informiert hat, und die ökoliberale Politikerin Iren Eichenberger hat Zeit für ein Gespräch. «Die geologischen Abklärungen, die gemacht werden, liefern ja objektive Daten», sagt sie. «Für uns ist heute hier vor allem wichtig, auf Grundsatzfragen hinzuweisen, die mit technischen Daten nicht einfach wegzuputzen sind.» – «Zum Beispiel?» – «Kann man das verantworten, etwas auf so lange Zeit in die Welt zu setzen, von dem ein derart grosses Gefahrenpotenzial ausgeht?» Auch gebe es schon wieder Tendenzen, den Rückzug vom Ausstieg aus der Kernenergie anzutreten. «Wohin mit den Abfällen, Frau Eichenberger?» – «Ich bin nicht verantwortlich dafür, zu sagen, wo genau jetzt der richtige Standort ist. Es ist so, dass das Kernenergiegesetz sagt, es muss in der Schweiz sein, aber noch sind nicht alle Fragen beantwortet.» – «Die Nagra versucht ja, die Fragen zu beantworten …» – «Die Fragen, die offenbleiben, überzeugen mich mindestens so wie die Antworten», sagt Iren Eichenberger und fügt an, dass sie im Grunde «grosses Vertrauen in die technischen Abklärungen» habe, aber man müsse wohl erst eine «Zwischenlösung suchen», bevor man ein Endlager ins Auge fassen könne.

Emotionsloser Gemeindepräsident
Und was meint der Gemeindepräsident von Löhningen, Fredy Kaufmann, der bei Kaffee und Kuchen lebhaft mit Kantonsrat Markus Müller diskutiert? «Ich bin emotionslos. Die Nagra hat den Auftrag, Messungen durchzuführen, den soll sie erfüllen. Im besten Fall für uns ist das Gelände ja nicht geeignet.» – «Und wenn der Standort geeignet wäre, dann sagen Sie: ‹Super, bringt jetzt den Müll hierher?›» – «Sicher nicht! Aber im Gemeinderat haben wir beschlossen, dass wir nicht mit gelben Fässern lauthals protestieren.» Kantonsrat Markus Müller schaltet sich ein: «Im Kanton Schaffhausen gibt es einen gesetzlichen Auftrag zum Dagegensein, der gilt auch für Gemeinden. Ich bin Pilot und sehe die Gebiete, die auf dieser Welt prädestiniert sind für ein Lager. Und das ist sicher nicht ein bewohntes Gebiet wie der Kanton Schaffhausen.» Markus Müller sähe am liebsten eine internationale Lösung – «die Staaten müssen sich zusammenschliessen» – und erwähnt einen Vorstoss von Ständerat Hannes Germann in diese Richtung. Und: «Ich könnte wetten, es gibt eine verlängerte Zwischenlagerung. Ich glaube nicht, dass es schon ein Endlager geben wird.»

8000 Geophone stecken im Boden
Mit dem Geophysiker Philipp Birkhäuser machen wir einen Rundgang zu den Messstellen. Grosse Vibrationsfahrzeuge versetzen den Untergrund mit 14 bis 120 Hertz in Schwingung, und die reflektierte Signalenergie wird von rund 8000 Geophonen, die im Abstand von 50 Zentimetern in der Wiese stecken, gemessen. «Angenommen, da, wo Sie wohnen, würde ein Endlagerstandort evaluiert? Wären Sie als Geophysiker dann auf der Seite der Gegner oder der Befürworter?» – «Eine spannende Frage! Ich glaube, ich würde mir so viele objektive Entscheidungsgrundlagen beschaffen wie möglich.» Und dann sagt er noch etwas: «Ich habe den Eindruck, den Leuten ist es im Grunde egal, was wir von der Nagra machen. Die wollen einfach, dass Strom aus der Steckdose kommt.»