Kaum gewählt, wurde Stockers Sieg an der Urne schon wieder in Frage gestellt. Der Nachfolger von Minder habe seinen Lebensmittelpunkt eigentlich in Zürich – dort Wohnung, Ehefrau und Sohn. Damit sei er bereits im Anlauf gestrauchelt und tauge nicht als Vertreter des Standes Schaffhausen in Bern.
Tobias Bolli | 7. Dezember 2023
Die Regierung hat dieser Stimmrechtsbeschwerde am Dienstag eine dezidierte Abfuhr erteilt. Stocker sei seit Anfang 2022 als Einwohner in der Stadt gemeldet, hier stimmberechtigt und zahle nicht zuletzt auch Steuern in Schaffhausen. An seiner Wahl sei damit nichts auszusetzen.
Es ist das Recht jedes Schaffhauser Stimmberechtigten, derlei Beschwerden einzureichen und überprüfen zu lassen. Tatsächlich sollten gerade Standesvertreter mehr als eine flüchtige Bekanntschaft mit ihrem Kanton haben und damit dessen Interessen gut informiert vertreten können. Insofern unterscheidet sich das Amt des Ständerats vom Nationalrat, dessen Mitglieder um das Wohl des ganzen Schweizer Volks besorgt sein sollten – das können Sie unter Umständen auch ohne eine starke geografische Bindung. Bei Stocker – der immerhin den grössten Teils seinen Lebens in Schaffhausen verbracht hat – ist der lokale Bezug offenkundig ausreichend. Auch eine pedantische Auslegung des Gesetzes dürfte ihm seine grundsätzliche Eignung für das Amt als Ständerat nicht absprechen können. Es scheint sich hier mehr um einen Versuch zu handeln, auf dem Gerichtsweg kleinkrämerisch einen Entscheid des Volks noch zu kippen.
Im Übrigen war genau die Frage der Verwurzelung in Schaffhausen bereits ein Thema während des Wahlkampfs. Offenbar hat das Volk aber wenig Anstoss daran genommen, dass Stocker in Zürich scheinbar mitunter eine Dreizimmerwohnung bewohnt. Analog haben Zürcher Stimmberechtigte über Vorwürfe hinweggesehen, die neue GLP-Ständerätin Tiana Moser sei lediglich eine «Teilzeit-Zürcherin» und darüber hinaus noch halb in Bern beheimatet. Das ist sie zumindest jetzt – genau wie Stocker und viele andere Ständeräte nach ihrer Wahl auch. Denn: Wer in Bern politisiert, hält sich meist in der Nähe von Bern auf, ganz gleich, welch starke Bande ihn oder sie mit dem Heimatkanton verbinden. Daran ist freilich abzulesen, dass eine zeitlich ununterbrochene und möglichst grosse Nähe zum Heimatkanton nicht als Hauptkriterium dafür dienen kann, ob man es mit einem tauglichen oder weniger tauglichen Ständerat zu tun hat. Deswegen zählt auch niemand nach, wie viele Stunden und Minuten sich der zweite Ständerat, Hannes Germann, Jahr für Jahr in Schaffhausen aufhält.
Neben dem Inhalt der Beschwerde lässt sich auch der Umgang der Beschwerdeführer mit der Öffentlichkeit kritisch betrachten. Diese haben sich ihr gegenüber nicht zu erkennen gegeben. Wer für die Beschwerde den Anstoss gegeben hat – ob es tatsächlich nur Schaffhauser Stimmberechtigte waren – lässt sich angesichts des beharrlichen Schweigens der beiden Herren nicht feststellen. Theoretisch könnten auch Politiker ausserhalb von Schaffhausen ihre Finger im Spiel haben oder sogar als Hintermänner die Fäden ziehen. Solche Spekulationen entbinden die Behörden nicht davon, ihre Pflicht zu tun und der Beschwerde mit gleicher gebotener Sorgfalt nachzugehen. Aber sie hinterlassen einen Beigeschmack, der sich mit einem selbstbewussten und transparenten Auftreten der Beschwerdeführer hätte vermeiden lassen.