In Schaffhausen diskutierten Parlamentarier zwei Tage über die Kostenberechnungen für den Atomausstieg.
Von Sidonia Küpfer
SCHAFFHAUSEN. Was kostet es, die Schweizer AKWs dem Erdboden gleichzumachen, damit zum Schluss wieder grüne Wiese übrig bleibt? Und welche Risiken könnten bei diesem Prozess für den Bund entstehen? Im Hotel Kronenhof in Schaffhausen diskutierten in den letzten zwei Tagen die Finanzkommissionen von Stände- und Nationalrat sowie weitere Mitglieder der Umweltkommission über diese Fragen. Hannes Germann hat die Parlamentarier an den Rhein geholt. Der Schaffhauser ist derzeit Präsident der ständerätlichen Finanzkommission (vgl. SN von gestern). «Es ist unglaublich, aber es gibt immer wieder einen, der tatsächlich noch nie am Rheinfall war», sagte Germann gestern. Dieses Versäumnis war am Vorabend nachgeholt worden.
Mit der anstehenden Stilllegung des Kernkraftwerks Mühleberg im kommenden Jahr hat das Thema an Bedeutung gewonnen. Die Betreiber der Kernkraftwerke sind für die Stilllegung und den Rückbau der AKWs sowie die Entsorgung der nuklearen Abfälle verantwortlich. Dafür äufnen sie zwei Fonds: den Stilllegungs- und den Entsorgungsfonds (Stenfo). In den vergangenen Jahren wurde immer wieder Kritik laut, die Organisation sei undurchsichtig, und die AKW-Betreiber würden zu wenig Geld einbezahlen. Organisatorisch gab es in Schaffhausen Lob, wie Germann gegenüber den SN erklärt: «Die Finanzkontrolle hat punkto Governance deutliche Verbesserungen festgestellt.» So ist der Präsident der Fonds inzwischen unabhängig, wohingegen früher der Direktor des Bundesamtes für Energie (BFE) diesen Posten innehatte. Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) ist als Aufsichtsbehörde nicht mehr im Kostenausschuss vertreten, und die Aufsicht durch das BFE sei gestärkt worden. Alles Forderungen, welche die Finanzkontrolle 2014 gestellt hatte. Auch bezüglich Transparenz der Kostenberechnung seien Fortschritte erzielt worden. «Vieles scheint aus heutiger Sicht finanziert, die Kosten werden periodisch angepasst», sagt Germann.
Gibt es die Betreiber dann noch?
Dennoch bleiben gerade auch in Bezug auf die Risiken für den Bund Fragen offen. Während die Kosten beim Stilllegungsfonds einigermassen gut abschätzbar und mit aktuell kalkulierten 3,8 Milliarden Franken auch vergleichsweise überschaubar sind, ist die Berechnung der Entsorgungskosten anspruchsvoller. Mit diesen Geldern sollen die Kosten für die Wiederaufbereitung der Brennstäbe, den Transport und die Entsorgung der radioaktiven Betriebsabfälle gedeckt sowie die Projektierung, der Bau, Betrieb und die Überwachung eines Tiefenlagers finanziert werden. Beim Entsorgungsfonds fallen also die Kosten erst an, wenn die Betreiberfirmen möglicherweise nicht mehr existieren. Dies führte auch in Schaffhausen zu den grössten Diskussionen. Im Kernenergiegesetz steht zwar, dass die Betreiber zu höheren Zahlungen verpflichtet werden können, wenn die Kosten für die Entsorgung höher liegen, doch diese Pflicht ist schwer durchsetzbar. Die Vertreter von Swissnuclear, dem Branchenverband der Kernkraftwerkbetreiber, hätten argumentiert, dass sie aufgrund der Solidarhaftung – wenn ein Betreiber nicht bezahlen kann, müssen die anderen einspringen – kein Interesse daran hätten, dass die Fonds nicht genügend geäufnet würden, erklärt Hannes Germann.
Sollten die Betreiber nicht mehr zahlen können, kämen in einem nächsten Schritt die Aktionäre – mehrheitlich die Kantone – zum Handkuss. Doch am Schluss der Kaskade steht der Bund. «Der Bund wird in 50 Jahren ein grosses Haftungsrisiko haben», davon ist die Schaffhauser Nationalrätin Martina Munz (SP), die auch am Seminar teilnahm, überzeugt. Sie lobte die heute transparentere Kostenberechnung, da habe man aus der Kritik gelernt. Insgesamt scheinen ihr die Berechnungen aber immer noch zu optimistisch: «Wir haben weltweit null Erfahrung mit dem Bau eines Lagers für hochaktive Abfälle, dafür aber viele gescheiterte Projekte.» Zeitverzögerungen, beispielsweise weil das Volk einen Standortentscheid ablehnen könnte, seien nicht einkalkuliert. Und Munz ist der Meinung, dass die AKW-Betreiber ihre Eigenkapitalbasis nun massiv erhöhen müssten, um im Falle von Nachschussforderungen zahlungsfähig zu sein.
Insgesamt müssen die beiden Fonds nach aktuellen Berechnungen 14,7 Milliarden Franken zusammenbringen. Bislang sind 2,5 Milliarden in den Stilllegungsfonds und 5,2 Milliarden in den Entsorgungsfonds einbezahlt. 6,5 Milliarden sollen über die Jahrzehnte als Kapitalerträge bei 2 Prozent Realrendite hinzukommen, es fehlt demnach noch eine halbe Milliarde Franken. Alle fünf Jahre wird festgelegt, wie hoch die Beiträge der Betreiber angesetzt werden müssen, damit zum Schluss genügend Geld vorhanden ist.
24 Milliarden Franken sollen die Kosten für die Stilllegung und Entsorgung der AKWs betragen. Davon werden 9,3 Milliarden bei laufendem Betrieb von den Betreibern bezahlt. 14,7 Milliarden sollen durch die Fonds gedeckt werden.