Geld und Geist
von Hannes Germann
«Nie wieder Aktien», lautet das ernüchternde Fazit enttäuschter Anleger. Eine verständliche Reaktion all jener, die sich erst Ende der boomenden neunziger Jahre dazu entschlossen hatten, in das Risikokapital von Unternehmen zu investieren. Just zu einer Zeit, als im Bereich der «New Economy» so etwas wie eine neuzeitliche Goldgräberstimmung herrschte. Da war er wieder, der Traum vom Geld, das sich sozusagen im Schlaf verdienen lässt. Die Aussage, dass Geld den Charakter verdirbt oder zumindest den Geist verwirrt, scheint eine Art Urgesetz menschlichen Verhaltens zu sein. Die löblichen Ausnahmen, die es natürlich auch gibt, mögen mir den Ausspruch verzeihen …
Doch wie gehabt: Beide sind sie geplatzt, die Technologieblase und der Traum vom schnellen Geld. Die Wende kam im Laufe des Jahres 2000, nachdem der Swiss Market Index (SMI) noch einmal deutlich über die Marke von 8000 Punkten geklettert war. Wer sich Mitte 2000 mit Aktien eindeckte, büsste bis Ende 2002 selbst mit einem breit abgedeckten Portfolio innerhalb des SMI rund 45 Prozent seines investierten Vermögens ein. Wer mehr riskierte und auf die noch verlockenderen Kursgewinne des Neuen Marktes setzte, verlor zum Teil über 90 Prozent. Oder man musste, wie mit dem Traditionsunternehmen Swissair, gar einen Totalverlust in Kauf nehmen.
Derart tiefe Wunden heilen nicht so rasch. Und doch: Aktien werden ihren Reiz behalten. Denn die während des Irak-Krieges auf ein supertiefes Niveau gesunkenen Börsenkurse bargen für den Fall eines schnellen Kriegsendes ein erhebliches Erholungspotenzial. Raschentschlossene (Wieder-)Einsteiger wurden dann auch mit satten Kursgewinnen belohnt. So stieg der SMI innerhalb der letzten sechs Wochen von 3700 auf über 4500 Punkte, was einem Plus von mehr als 20 Prozent entspricht. Sich aber von einem derartigen Strohfeuer blenden zu lassen wäre zweifellos verfehlt. Derartige Kapriolen sind geradezu Charakteristika der Aktienmärkte.
Sollen also Laien endgültig die Finger von diesem heiklen Instrument lassen? Eine allgemein gültige Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Jeder Anleger, jede Anlegerin muss sich selber darüber Rechenschaft ablegen.
Dass Aktienkapital gezeichnet wird, ist für die Unternehmen und damit die gesamte Wirtschaft auch in Zukunft von vitaler Bedeutung. Unternehmen, die über Spitzentechnologien und Wachstumspotenzial verfügen und darüber hinaus auf ein führungsstarkes Management und einen Verwaltungsrat mit strategischen Fähigkeiten zählen können, verdienen auch künftig das Vertrauen.
Aktien haben also weiterhin Zukunft! Dafür spricht nicht zuletzt ihre Vergangenheit. Denn allen wirtschaftlichen Hochs und Tiefs zum Trotz lassen sich mit diesem Anlageinstrument über längere Zeiträume die besten Renditen erzielen. Wer im Jahre 1800 einen US-Dollar auf den US-Aktienindex gesetzt hätte, hätte im Jahre 1996 einen Gegenwert von weit über einer halben Million Dollar gehabt. Dies dank einer jährlichen Rendite von durchschnittlich 6,9 Prozent. Mit Bonds (Anleihen, Obligationen) wären aus dem einen Dollar aus dem Jahr 1800 immerhin deren 1000 geworden (jährliche Durchschnittsrendite 3,4 Prozent). US-Schatzbriefe warfen pro Jahr 2,9 Prozent ab. Mit dem Kauf von Gold hätte man gerade mal die Inflation auffangen können: Aus dem Dollar wäre ein Dollar geblieben (Rendite 0,1 Prozent). Die schlechteste Anlage war – und ist es auch heute noch – jene unter der Matratze. Dort verlor der Dollar pro Jahr 1,3 Prozent an Wert. Man hätte ihn also besser gleich im Jahr 1800 an eine bedürftige Person verschenkt.
Der Preis für die im Vergleich zu Sparheften, Obligationen oder anderen Anlageinstrumenten bessere Rendite ist das höhere Anlagerisiko der Aktien. Weil die Kurse der einzelnen Titel in aller Regel grösseren und mitunter längerfristigen Schwankungen unterworfen sind, sollten Aktien nur mit einem langfristigen Anlagehorizont ins Anlageportefeuille aufgenommen werden. Wichtig ist die Beratung durch geschultes und erfahrenes Bankpersonal. Gewarnt sei – im Falle eines Wiedereinstiegs in die Aktienmärkte – vor allzu grossen Erwartungen. Die jährliche Durchschnittsrendite von 17,5 Prozent zwischen Anfang 1991 und Ende 2000, wie sie laut einer Studie der Bank Leu erzielt worden ist, dürfte nicht so schnell wieder erreicht werden. Oft folgten auf ein gutes Börsenjahrzeht nämlich zwei schlechte.
Hannes Germann ist Ständerat und wohnhaft in Opfertshofen. Der 46-jährige Betriebsökonom arbeitete bis Ende 2002 als Wirtschaftsredaktor bei den «Schaffhauser Nachrichten».