[Tagesanzeiger] Poggia ist der erste Ständerat ohne Heimat

Nach langem Hin und Her hat sich der neu gewählte Genfer MCG-Politiker Mauro Poggia entschieden: Weil er nicht der Mitte-Fraktion beitreten kann, bleibt er allein – und wohl ohne Einfluss.

Nina Fargahi ¦ 23.11.2023, 21:46

Er bleibt lieber allein, als zur SVP zu gehen: Der Genfer Ständerat wird zum Aussenseiter. Foto: Pierre Albouy
Er bleibt lieber allein, als zur SVP zu gehen: Der Genfer Ständerat wird zum Aussenseiter. Foto: Pierre Albouy

Mittendrin und doch nicht dabei. Der neu gewählte Ständerat Mauro Poggia vom Mouvement Citoyens Genevois (MCG) wählt das parlamentarische Exil, statt sich der SVP-Fraktion anzuschliessen.

Poggia wollte sich der Mitte-Gruppe im Ständerat anschliessen. Doch die kam dem Wunsch nicht nach, weil rechtliche Gründe dagegensprechen. Poggias Problem sind seine beiden MCG-Parteifreunde, Roger Golay und Daniel Sormanni. Sie wurden in den Nationalrat gewählt und haben sich der SVP-Fraktion angeschlossen. Die Regel ist: Angehörige der gleichen Partei müssen sich der gleichen Fraktion der Bundesversammlung anschliessen. Dass es im konkreten Fall um einen Ständerat geht, spielt keine Rolle, da die Fraktionen die Ratsmitglieder beider Räte umfassen.

Poggia macht allerdings geltend, dass die Regelung im Ständerat in keinem formellen Gesetz steht. Daraus schliesst er, dass der Entscheid der Mitte-Gruppe politisch sei – und nicht juristisch. Tatsächlich haben die Fraktionen im Parlament einen rechtlichen Status, nicht aber die ständerätlichen Gruppen. Trotzdem sehen die Parlamentsdienste nur zwei Optionen für Poggia: den Anschluss an die SVP oder den Alleingang. In diesem Fall, so der MCG-Politiker, sei seine Entscheidung klar: «Ich bleibe unabhängig.»

Poggia ist, wie die Historiker der Parlamentsdienste sagen, der erste Ständerat ohne Gruppenanschluss. «Seit dem Inkrafttreten des Parlamentsgesetzes im Jahr 2003 gab es keinen vergleichbaren Fall Poggia», heisst es. Es gab Werner Luginbühl in der 48. Legislatur, der kurz fraktionslos war nach der Wahl von Bundesrätin Widmer-Schlumpf und der Gründung der BDP. Dieser Fall ist allerdings nicht vergleichbar mit Poggia, weil Luginbühl danach der BDP-Fraktion angehörte. Eine Fraktion kann gebildet werden, wenn ihr aus einem der beiden Räte mindestens fünf Mitglieder beitreten.

Für den Genfer MCG-Politiker hat das weitreichende Konsequenzen: Als Einzelgänger hat er kein Anrecht auf Einsitz in den Kommissionen, wo die entscheidenden politischen Weichenstellungen stattfinden. Er kann als Ständerat zu jedem Geschäft reden und sich während der Sessionen direkt im Plenum einbringen. Doch seinen Kanton wird er in der Kommissionsarbeit nicht vertreten können. Er bleibt im Rat quasi ohne Einfluss.

Der Schaffhauser SVP-Politiker Hannes Germann ist seit mehr als zwanzig Jahren Ständerat und kennt die Gepflogenheiten der Chambre de Réflexion wie kaum ein anderer. Er sagt: «Ich respektiere, dass Herr Poggia zu seinen Werten steht.» Er betont aber: «Wir haben grosse politische Aufgaben und Probleme, die auf uns zukommen – wir sollten uns um Lösungen bemühen und nicht um Nebensächlichkeiten streiten.» Er empfiehlt Poggia den Anschluss an die SVP. «Wenn er sich unwohl fühlen sollte, kann er jederzeit wieder austreten und fraktionslos werden.»

Am Montag geben die Parteien die Zusammensetzung ihrer Parlamentsgruppen bekannt. Wird sich Poggia doch noch anders entscheiden? Er kennt jedenfalls die Suche nach einer heimatlichen Fraktion von früher. Bereits 2011 wurde er für den MCG in den Nationalrat gewählt, fand dort allerdings keinen Anschluss an eine Fraktion und trat 2013 aus dem Rat zurück.